Veganismus. Eine Skizze.
»Veganismus ist, zumindest in Deutschland, ein in höchstem Maße regressives Projekt. Praktiziert wird es, mit wenigen Ausnahmen, in einem Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft, der keineswegs Kapitalismuskritik, Kritik der Herrschaftsverhältnisse oder die Emanzipation im Sinn hat.« (Quelle)
Einige Aspekte dieser Zusammenfassung sollen weiterhin thesenhaft skizziert werden.
Single Issue. Veganismus wird medial als ein Konsumismus, im engeren Sinne als eine Ernährungsform verhandelt. – Als solche ist er jedoch kein Thema, über das sich zu streiten lohnt. Er wäre ein Thema, sofern er auf Kritik am gesellschaftlichen Naturverhältnis, an den Produktionsverhältnissen, an Herrschaft verwiese. Wer von der »Ausbeutung der Tiere« redet, sollte den Begriff der Ausbeutung nicht moralisch füllen und von der Verstümmelung des Menschlichen nicht schweigen.
Natur. Der Veganismus geht zumeist mit einem positiven Bezug auf die Natur einher. Natürlichkeit wird zum Argument. Ernährung muss natürlich sein, das ganze Leben muss natürlich sein. »Im Einklang mit der Natur« lautet die Phrase, in der diese Ideologie gipfelt.
Diese Sichtweise ist anti-materialistisch und steht der Kritik entgegen. »Natur« müsste als historische Erfindung entlarvt werden. Der Naturbegriff sollte Gegenstand der Kritik sein. Wörter wie »Massentierhaltung« bezeichnen nicht nüchtern die gegenwärtigen Produktionsbedingungen, sondern drücken aus, dass ein idealistischer Naturzustand, ein vermeintlich »natürliches« Mensch-Tier-Verhältnis zurückgesehnt wird.
Eine individuelle Entscheidung, die die Welt verändern soll. Die Auffassung, alles könne sich ändern, wenn wir uns verändern. – Dabei kann niemand »vegan leben«. Veganismus als individuelle Weigerung ist allem Anschein nach aussichtslos. Das Unheil ist das gesellschaftliches Verhältnis zur Umwelt, zu den Tieren, zum Mensch selbst. Was die Menschen sich fortwährend antun. Selbst wenn mehr Leute »vegan leben«, bleibt die andauernde Katastrophe unangetastet. Das Mensch-Tier-Verhältnis ändert sich nicht, es setzt sich fort und verfestigt sich. »Ethisch leben«, der »Lifestyle of Health and Sustainability« (LOHAS), Fair Trade und der Bio-Boom sind traurige Zeugnisse dessen.
Umwelt- und Klimaschutz. Klimaschutz wird als Grund für Veganismus angeführt. Es wird dem Einzelnen aufgebürdet, das Klima zu retten: Energiesparlampen, Elektroautos und nun pflanzliche Ernährung.
Dagegen ist festzuhalten, dass die Zerstörung der natürlichen Grundlagen auf die blinde Produktion zurückzuführen ist. Kein Fleisch zu essen ändert daran nichts substantiell. Wenn nicht durch die Tierproduktion, so zerstört der Kapitalismus die Erde eben durch Sojaproduktion. Fakt ist, er tut es unweigerlich seit über 150 Jahren. Die Tierproduktion ist nur eine besonders gewalttätige Ausprägung.
Tierliebe. Auch und gerade für Veganvereine sind Tiere Objekte der Projektionen verstümmelter und verkehrter Empathie. Wir finden sie süß, erfreuen uns an ihren Kulleraugen. – Ein absurdes Tierbild, das mit dem Lebewesen nichts zu tun hat. Die Konstruktion des Tieres wird nicht hinterfragt. Es ist stets ein herrschaftliches Begegnen, das der Mimesis entgegen steht.
Medien verhandeln Veganismus als Trend. Selbstverständlich transportiert dies keine Kritik und regt nicht zum Denken an. »Normale« müssen beurteilen, ob veganes Essen gut schmeckt, also der Norm entspricht. Sie probieren die neueste Mode aus und am Ende kommt heraus, dass sie etwas oder nichts für einen ist – ein Geschmacksurteil. Eine Beschäftigung darüber hinaus fehlt.
Die Schuldgefühle der Fleischesser beim Anblick solcher Medienberichte sind Teil des Problems. Die demonstrierte moralische Überlegenheit ruft bloß eine irrationale Abwehrhaltung hervor. Diese psychischen Mechanismen gälte es als Folge verrohter Gemüter bloßzustellen. Die veganen Organisationen passen sich jedoch der Sprache der Medien an. Sie zerren in der Produktion getötete Tiere vor die Kamera und präsentieren sie in HD auf YouTube, um die Betrachter vollends abzustumpfen. Rohheit gegen Rohheit.
Szene, Lifestyle und Konsum. Veganismus ist in und hat eine Szene mit festen Diskursregeln geschaffen. Es gibt Restaurants, Straßenfeste, Kochgruppen und Rezepteblogs. Vegan ist lecker, bedeutet Spaß und Genuss. Ein Gemeinschaftserlebnis. Es gibt immer mehr veganes Essen, für reiche Weißdeutsche versteht sich. Ersatzprodukte ermöglichen den einfachen Umstieg. Die Community wächst. In der Szene beschäftigt man sich mit sich selbst, versucht »vegan« zu definieren, zu steigern und abzugrenzen, regt sich über die Borniertheit der Mehrheit auf, und beratschlagt darüber, wie sich deren »Vorurteile« abbauen lassen. Wie sich »Vegansein« in der Mitte der Gesellschaft verankern lässt. Anstatt lapidar das Herrschaftsverhältnis zu untersuchen.
Kritik ist marginal, das ist bekannt. Doch es ist der Veganismus, der sie marginalisiert. Auf ein kritisches Blog reagiert die Szene mit tausend »freundlichen« und »positiven« Foodblogs (»Backtivismus«). Vegan cupcakes take over the world. Nicht wirklich, aber wenn, dann wäre alles erreicht, was erreicht werden wollte. Während Veganer damit beschäftigt sind, zu beweisen, dass veganes Essen auch gut schmecken kann, geht die Welt zugrunde, verfestigt sich das Mensch-Tier-Verhältnis.
Auch in der Sache ist zu widersprechen. Das vegane Nahrungsangebot ist allen Behauptungen zum Trotz ärmlich. Vegane Ernährung bedeutet Verzicht auf die Kulturleistungen der unveganen Welt. Die meisten Ressourcen wurden und werden in unvegane Güter investiert. Die Kulturgeschichte der Ernährung, welche mit der Naturbeherrschung eng verzahnt ist, ist nicht vegan. Wir stehen erst am Anfang. Wir schreiben den ersten Satz in das erste Kochbuch, das nicht auf Tierausbeutung fußt. Im Moment der Befreiung kann es auf dem Müllhaufen der Geschichte landen, um ganz von vorne geschrieben zu werden.
Anstelle einer realistischen Einschätzung bildet man sich ein, dass das »ethische Konsumieren« bereits fruchte. Denn Nischen entstehen, die kapitalistisch interessant werden. Eine vegane Industrie bildet sich heraus. Veganismus wird warenförmig und marktfähig. Kein Wunder, denn der Veganer ist per Definition ein Konsument.
Teleologie und Zuschreibung von Rechten. Veganismus ist reformistisch, macht Lobbyarbeit, versucht Gesetzesänderungen. Ein demokratischer Akt soll den Tieren Rechte zuschreiben.
Zu behaupten, Tiere seien nicht für den Menschen da, ist so teleologisch und problematisch wie sein Gegenteil. »Nutztiere« haben keine andere Bestimmung, sie sind für diesen Zweck erschaffen worden: um bis zum letzten Atemzug ausgebeutet, schließlich getötet und verwertet zu werden. Tiere sind Lebensmittel, Spielzeuge, Kuscheltiere. Der Mensch definierte sie stets. Nicht bloß idealistisch durch einen »Speziesismus«, sondern materiell, naturwissenschaftlich. »Wildtiere« gibt es nicht mehr, seit eine Tierart sich die Erde Untertan gemacht hat und sämtliches Leben kategorisiert und eingepfercht hat. Das globale Ökosystem, seine anhaltende Zerstörung, ist eine menschliche Kulturleistung.
Der Veganismus glaubt, am Ende werde die Menschheit einsehen, »dass wir nicht das Recht haben euch zu quälen« (Peta-Werbevideo). Mit Blick auf die zerstörerische Menschheitsgeschichte setzen wir jedes Recht. Und die aufgeklärte, demokratische Welt erstrahlt vor diesem Unheil. Andere moralisch-normative Aussagen wie »Die Milch gehört den Kälbern« oder »Tiere sind keine Ware« unterliegen demselben Widerspruch. Tiere sind faktisch Waren. Warum sollten Tiere auch keine Waren sein, wo doch alles Ware ist. Niemand fragt derweil, warum Warentausch, Wertprinzip, Lohn, Kapital und Profit existieren, warum Menschen ihre Arbeitskraft zu Markte tragen müssen.
Gesundheit und Schönheit. Es wird über Nährstoffe, Vitamine und gesunde Ernährung geschwafelt. Man haut sich wissenschaftliche Studien um die Ohren, ist gezwungen, das Vorurteil vom ausgemergelten, mangelernährten Veganer zu widerlegen. Denn Veganismus sei gesund, gar gesünder; nicht-vegane Lebensweise mache krank und sei gesundheitsschädlich. Vegan sei sportlich, vegan mache fit und schlank, vegan steigere die sexuelle Potenz und die allgemeine Leistungsfähigkeit. Es gibt vegane Leistungssportler, Ironmen, Ultramarathonläufer, die selbst Nichtvegane schlagen.
Veganer machen sich damit eine Biopolitik zu eigen, die sich um den deutschen »Volkskörper« sorgt und die Subjekte für Konkurrenz und Nation fit machen will. »Gesundheit« bedeutet hier nichts anderes als den Terror des Gesundseins: physische Normierung, Ausgrenzung und Erniedrigung. Hass auf Kleine, Dicke, Schwache, Alte, Kranke, generell Abweichler. Wer sich auf den herrschenden Diskurs um Gesundheit und Schönheit einlässt, verliert alles darin und reproduziert bloß Sexismus und Ableismus.
Esoterik. Mit Edelsteinen gereinigtes, energetisiertes Wasser, Alternativmedizin, Impfkritik, Darmreinigung, Yoga-Retreats. Urlaub auf dem Gnadenhof, Balsam für die geplagte Seele. Selbstfindung und geistige Heilung. Rohkost, Wildkräuter, und du fühlst dich wie neu geboren. – Der deutsche Veganismus steckt so tief im esoterischen Morast, er ist mitunter nicht mehr zu erkennen, geschweige denn herauszuziehen. Und übrigens, Rohkost-Schokolade schmeckt nach Kotze. Ernsthaft.
Deutschland is(s)t vegan: Eine Horrorvorstellung.
Zum Weiterlesen: Das richtige Leben
14.08.2012