Deutschland is(s)t vegan: Eine Horrorvorstellung

Vor viereinhalb Jahren habe ich argumentiert, dass der Veganismus in Deutschland in die ideologische Sackgasse führt. Es kam allerdings noch schlimmer als ich dachte.

Schon damals zeichnete sich ab, dass Veganismus ein Konsumtrend wird, der medial massiv angefeuert wird. Ich schrieb: »Nischen entstehen, die kapitalistisch interessant werden. Eine vegane Industrie bildet sich heraus. Veganismus wird warenförmig und marktfähig. Kein Wunder, denn der Veganer ist per Definition ein Konsument.«

Heute ist der Veganismus im Mainstream angekommen. In Deutschland scheint sogar der Peak Veganismus erreicht zu sein. Es sind nicht mehr kapitalistische Nischen, sondern es ist der agroindustrielle Komplex, der an veganen Lebensmittel verdienen will. Vom Discounter bis zum globalen Lebensmittelkonzern wollen alle etwas vom veganen Kuchen abhaben.

Haben sie plötzlich ihre Liebe zu Tieren entdeckt? Eher verspricht der Veganismus zweistelliges Wachstum und doppelt hohe Margen auf einem hart umkämpften Dumping-Markt. Das Marketing der Lebensmittelindustrie freut sich, dass mit Trends wie dem Veganismus, »Superfoods«, »Clean Eating« usw. eine neue Sau durch das Dorf getrieben wird.

Der hiesige Veganismus hat sich mit dem Kapital verbündet. Die von Vegan-KapitalistInnen ausgegebene Losung »Vegan ist das neue Bio« bezieht sich nicht auf den Boykott von Tierprodukten oder auf die ökologische Landwirtschaft. Es ist das bloße Anlocken von Investoren, die auf der Suche nach Wachstumsmärkten sind, die nicht nur ein monetäres sondern auch ein moralisches Surplus abwerfen. Materialistisch gesehen ist »vegan« zuvorderst eine neue Möglichkeit, Kapital zu reproduzieren und Profite abzupressen.

Doch ist es nicht großartig, dass VeganerInnen bald an jeder Ecke vegan essen können? Ist es nicht wichtig für die Verbreitung des Veganismus, dass er für mehr Menschen zugänglich, kostengünstig und einfacher umzusetzen ist? Ist eine Normalisierung von Veganismus nicht wünschenswert, um Vorurteile abzubauen? Kann leckeres Essen nicht auch überzeugen, Menschen »zum Nachdenken anregen«? Deutet sich nicht ein »Bewusstseinswandel« an, wenn mehr und mehr Menschen zu veganen Produkten greifen?

Ja. Und nein. Veganismus war einmal ein politischer Akt, ein individueller Widerstand. Dahinter stand bestenfalls eine Kritik der Naturbeherrschung, des Mensch-Tier-Verhältnisses und der kapitalistischen Ausbeutung.

Selbst weniger radikale VeganerInnen mit ethischer Motivation sollten sich sich auf eine minimale Forderung einigen können: Das Schlachten zu beenden. Die Gewalt gegen Tiere einzustellen. Keine Tiere mehr zu »produzieren«. Die Gesellschaft nicht mehr auf Tierausbeutung fußen zu lassen. Und damit verbunden, »zart wäre einzig das Gröbste«: Dass niemand mehr hungern soll.

Fragen wir einmal ganz »pragmatisch« und versöhnlich: Sind wir diesem Ziel näher gekommen?

Der deutschen Wirtschaft geht es blendend. Es werden immer mehr Tiere gequält und getötet, mehr Fleisch, Milch und Eier verkauft. Der Trend geht weiter zur großindustriellen Produktion in Tierfabriken, die ihren Bedarf an Futtermitteln nur durch Sojaimporte stillen können. Bei gleich bleibendem bis leicht fallendem Konsum in Deutschland wächst die Produktion kontinuierlich, denn der Exportweltmeister verkauft Tierprodukte in die ganze Welt.

Der steigende vegetarische und vegane Konsum führt nicht zu einer Kehrtwende. Vielmehr erschließen sich den einschlägigen Fleischproduzenten mit veganen Angeboten neue Absatzmärkte. Sie »diversifizieren« ihr »Portfolio« und erhöhen ihre Umsätze. Zum Beispiel gewinnen sie Frauen als Käuferinnen, die statistisch gesehen nur halb soviel Fleisch essen wie Männer. Gleichzeitig bessern die Tierproduzenten ihr Image auf. Neben den endlosen, allgegenwärtigen Tierprodukten ein paar vegane Produkte anzubieten ist »Greenwashing« par excellence und lenkt vom alltäglichen Horror in den Schlachthöfen, den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und der katastrophalen Ökobilanz ab.

Schon 2012 habe ich angemerkt, dass der deutsche Veganismus nichts mit Kritik an Ausbeutung und Herrschaft zu schaffen hat, diese mitunter sogar bekämpft. Der deutsche Veganismus heute hat sich vollständig der Kritik entledigt. Menschen essen nicht vegan, weil sich der gesellschaftliche Wind gedreht hätte. Nicht weil wir zur Kenntnis genommen haben, dass unsere »Nutztiere« fühlende, leidende Lebewesen sind. Nicht weil wir Empathie und Mimesis kultiviert hätten. Nicht weil wir eingesehen haben, dass die Zivilisation auf Naturbeherrschung und -ausbeutung baut, auf der Verstümmelung des Lebendigen. Nicht weil wir uns von den geschichtlichen Mechanismen emanzipiert hätten, die zur Abspaltung des »Tierischen« vom »Menschlichen«, der »Natur« von der »Kultur« führten.

Sondern weil Veganismus ein Lifestyle-Trend ist, der dem schlechten Gewissen hilft. Er befriedigt das Bedürfnis, in der schlechten Welt, die die Menschheit gegen die Wand fährt, endlich einmal etwas richtig machen zu wollen. Veganismus ist klassisches »Upselling«. Ein teureres Produkt wird moralisch überhöht: Es ist neu, gesund und rettet gleichzeitig die Welt. Die Falle des »ethischen Konsums« hat zugeschnappt und den Veganismus vollends verschlungen.

Fragt man Leute, warum sie vegan essen, so kommt höchstens ein moralisches Unbehagen zutage. »Wegen der Tiere« freilich, und vielleicht etwas mit Gesundheit und Abnehmen. Der »Flexitarismus« macht es möglich, nach Bedarf »ethisch« zu konsumieren, mit jedem Kauf, mit jedem Bissen.

Hier treffen sich marktradikale mit bauchlinken Ansichten. Die unsichtbare Hand des Marktes hat es gerichtet: Die paar renitenten VeganerInnen, immerhin 0,8 Prozent der Bevölkerung, haben nun bekommen, was sie wollten. Jetzt können sie auch mal endlich Ruhe geben, so die Logik. Wenn es erst einmal in jedem Supermarkt die vegane Nische gibt, ist ihre Nachfrage befriedigt. Hatten sie etwa Forderungen, die darüber hinaus gingen? Falls ja, so wurden sie von der Warengesellschaft zerrieben und geschluckt. Es war abzusehen.

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Quellen

23.05.2017