Politik als Identität - Protest als Mitmachen

»Protest als Mitmachen« war der Vorwurf der Gruppe 8. Mai an die linksradikalen Gruppen, die an der Anti-G8-Mobilisierung teilnahmen. Was über diese Protestierenden gesagt wird, die, so die These, mitmachen, sei hier ausgeklammert. Es soll der Blick darauf geworfen werden, wie Kritik unweigerlich zu leerer Identitätspolitik verkommt. Politik wird zum zugehören, zugehören wollen, nicht zugehören wollen, das zugehören zu- und absprechen et cetera.

Wer den Protest anderer als Mitmachen bezeichnet, baut damit vor allem seine Position auf, die vielleicht protestieren, aber keinesfalls mitmachen will. So entsteht unweigerlich die Frage, wie Protest ohne Mitmachen möglich sei. Antworten darauf kommen wie aus der Pistole geschossen, entweder sei solcher Protest nicht möglich, deshalb gar nicht anzustreben, oder er sei in bestimmter Weise möglich. Welche sich beim näheren Hinsehen wiederum als gar nicht so radikal und unversöhnlich herausstellt, wie er scheint.

(So nennt z.B. Gruppe 8. Mai immer wieder die - durch und durch reformistischen und fetischisierten - Studierendenproteste und den Opelstreik als Beispiele für Proteste, an die Linksradikale anknüpfen können. Insofern ist der Vorwurf des »Sesselpupsens« und des Praxismangels unbegründet, sondern merkt man nicht, was viel schlimmer ist, in welcher Widersprüchlichkeit man sich verstrickt, wenn man infolge einer solchen Kritik eine unterstützenswerte Praxis aufspüren will. Dagegen weiß die wirklich arrogante und sektiererische Praxisfeindlichkeit wenigstens, wo sieht steht, auch wenn sie sich von der eigenen Ohnmacht blind machen lässt.)

Die Kritik von Gruppen, Bündnissen und Zusammenarbeit sowie am Akt des Anhängens und Sich-Identifizieren schlägt um und führt in die dogmatische Sackgasse. Dort gibt es nur das Falsche und den Kritiker. Der findet trotzdem den gloriosen Ausweg der Kritik, durch die er sich zumindest ideell, im Moment der Kritik, also des Schreibens, aus dem Falschen herausdefinieren kann. Der Raum des nicht-ganz-falschen sei das Möglichkeitsfenster, dass die Antithese eröffnet, ohne die Synthese anzustreben.

»Die Onkelz sind eine Stadion-Rockband, die abermillionen Fans suggeriert, sie gehörten zum Rand der Gesellschaft.«
(Der Rand verläuft in der Mitte) — Auch wenn die Gruppe der Kritiker und ihren Anhängern kleiner ausfällt, so ist es doch dasselbe identitätsstiftende Moment. Klagen die Onkelz über die schlechte Welt und bieten den betrogenen Subjekten eine Identität an, die sie zur Abwechslung mal nicht ausschließt, nämlich die der Ausgeschlossenen, so schließt sich Kritik, sofern noch nicht geschehen, selbst aus und produziert Avantgarde-Bewusstsein. Ohne das Selbstverständnis, dass man sich selbst mit der einzig richtigen Einstellung am Rand der Gesellschaft befinde und sich dort auch gefälligst hinzukritisieren habe, geht es nicht. Eine gute Kritik darf nur die resignative, die der »verstellten Praxis« sein. Die stellt zwar fest, wie die Verhältnisse den Menschen zurichten, was sich aber gerade in der Praxis des Aufbegehrens, im vermeintlichen Konkretheits- und Unmittelbarkeitswahn sowie im »Rückfall« in die »Barbarei« ausdrücke.

Während die einen der Ideologie der »Volksbewegung« anhängen und damit ihren Platz festmachen, verorten sich andere in der selbstgewählten Einsamkeit, wo es kein Mitmachen geben darf. Als prägendes Identitätsmerkmal gilt nicht die Alternativität, sondern die Negativität. Beide sind dadurch möglich, dass sie faktisch sind und zudem bisher jeder Stein auf dem anderen geblieben ist. Damit sind beide, ohne es sein zu wollen, wählbare und gangbare Alternativen, Tickets. Sie verlassen nicht den Raum der Identität. Sie sind Subkulturen, Stile und Bewegungen unter vielen, die den Warensubjekten den Sinn stiften, den sie unter der abstrakten Herrschaft des Wertes nicht zu finden imstande sind.

»Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« und »gegen die Welt, gegen den Strich«. — Das vermeintlich Nichtidentische bewegt sich in absurden identitären Formen, indem es sich selbst Kollektividentitäten zu- und unterordnet. Statt Individualitäten mit unüberbrückbaren und nicht verallgemeinerbaren Differenzen anzuerkennen, weiß man genau, wo man hin- und zugehört, ordnet sich und andere unter Begriffe. Individualität äußert sich bloß im »rat race« der Abgrenzung. Alle streiten um den Platz am äußersten Rand. Dort kann man endlich in Ruhe klagen, wie marginal der Widerstand sei und wie unversöhnlich die Kritik sei. Der jeweilige Anlass dient zur Verwirklichung dieser Form, die stabile Eigenbilder konstruieren sucht, aber notwendigerweise ständig in diesem Prozess verbleibt.

»Sich vorzumachen, dass es auf einen selbst noch ankommt in einer Gesellschaft, in der es auf einen selbst eben nicht mehr ankommen kann.« — Wenn die Kritiker am Ende einer Podiumsdiskussion einhellig bemerken, es gäbe noch keine politische Bewegung, die auf dieser Basis agiert, so mag das zunächst der Fall sein. Gesagt ist damit gar nichts. Dem entworfenen Selbstbild und dem der Kritik entspricht nur das eine, nicht das andere. Diese Kritik bringt das hervor, was die Gesellschaft überhaupt hervorbringt, armselige, vereinzelte und zertrümmerte Subjekte, die selbstgerecht in einer Nische, einer notwendig welt- und praxisfremden Identität einen Zufluchtsort suchen.

Notwendigkeit wird schließlich zur Freiheit verklärt, die Einsicht in erstere reicht ohnehin nicht weit genug. Was als objektiv notwendig angelegt ist und bloß in bestimmter, nicht besonderer Weise ausgeführt werden kann, wird als Widerstand verstanden und als Rettung angenommen: die aberwitzige Idee, sich als freies Individuum zu halluzinieren und die Aufgabe in der Auskostung der wenigen zugestandenenen Freiheit zu sehen, um selbige zu bewahren; sich als Besonderes zu dünken und der Diktatur des Allgemeinen zu trotzen. Dieses freie Individuum hat dummerweise als einzigen Makel, dass es nicht existiert. Aus identitären Mustern auszubrechen gelingt diesem verlassenen Wesen aus Prinzip nicht.

07.08.2007