Das richtige Leben
In dem lesenswerten Artikel »Über die vegane Weltrettungskackscheiße« stellt Dani Sojasahne unter anderem fest:
Dazu habe ich kommentiert:Dieser unkritische, selbstreferenzielle Wohlfühlveganismus ist so ein Lifestyle für Superpriviligierte …
Hier erlaube ich mir einmal einzuhaken und zu fragen: Ja, aber was erwartest du? Veganismus ist genau das. Ich würde behaupten: Notwendig, inhärent. Als gäbe es irgendwo einen kritischen Veganismus. Als gäbe es einen Veganismus, der kein individualistischer LOHAS für Priviligierte ist. Denn würde sich der Veganismus reflektieren, würde er sich schnell selbst aufheben (im dialektischen Sinne). Das heißt nicht die Rückkehr zur willentlichen Unterstützung der Tierausbeutung, aber die Einsicht, dass das Konzept des Veganismus nicht tragfähig ist.
Was du meinst wäre z.B. Kritik am Mensch-Tier-Verhältnis, am gesellschaftlichen Naturverhältnis, an globaler Ökonomie, an Ideologien. Die gibt es zuhauf, wird aber von den meisten VeganerInnen nicht rezipiert, oft sogar zurückgewiesen, und hat vor allem inhaltlich wenig mit dem zu tun, was allerorts als Veganismus verhandelt wird.
Veganismus ist der Definition nach ein individuelles Konsumverhalten. Manche versuchen ihn als politische Aktionsform in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Dann entwickelt er sich i.d.R. zu einer fragwürdigen Praxis einer unterkomplexen Theorie, die von notwendig falschem Bewusstsein zeugt.
Anzumerken wäre, dass es bereits eine vegane politische Bewegung gibt. Eine äußerst reaktionäre und zunehmend einflussreiche. »PETA«, »Vegane Gesellschaft Deutschland«, »Deutschland is(s)t vegan«, »VEBU«, Attila Hildmann und letztlich auch Kim Wonderland mit ihrem Törtchenbusiness sind Teil davon. Sie arbeiten tagtäglich hart dafür, die Herrschaftskritik aus dem Veganismus auszuschließen: Nahezu überall finden sich die von dir kritisierten Momente, überall finden sich Verblendungen und Projektionen wie »ethischer Konsum«, »klimaschonend«, »regional«, »nachhaltig«, »fair gehandelt«, »Bio/Öko«, »Globalisierungskritik«. Damit den Leuten nicht fade wird, engagieren sie sich gegen Palmöl, Plastik, für Rohkost oder die Rettung der Wale und Delphine.
Die wenigen Tierrechtler, AntispeziesistInnen, KritikerInnen des Mensch-Tier-Verhältnisses usw. könnten sich den ganzen Tag an jenen VeganerInnen abarbeiten. Das tun sie einerseits leider und andererseits zum Glück nur in geringem Maße. Es ist schlicht nötig einzusehen, dass hier kein gemeinsamer Kampf geführt wird und unter diesen Voraussetzungen auch nicht kann. Was unter Veganismus läuft, ist zum großen Teil affirmative Scheiße, und das lässt sich konzeptionell erklären.
Falls es jemanden interessiert, ähnliche Punkte habe ich einmal in meinem Blog zusammengetragen.
Darauf antwortete Melanie:
Ich finde den Artikel auf deinem Blog sehr interessant. Er regt zum Nachdenken an. Eine Frage wirft er aber für mich auf: Was ist die Alternative? Wie machst du selbst es?
Nicht vegan leben, dafür aber zum Beispiel politisch aktiv sein?
Würde mich wirklich interessieren, denn es ist wirklich schwer herauszufinden, wie man "richtig" leben soll...
Aufgrund der Länge veröffentliche ich meine Antwort hier im Blog:
Zuerst einmal versuche ich, die Diskussion aufzubrechen und auf die Herrschaftsverhältnisse zu lenken, die das richtige Leben systematisch unmöglich machen. Nichts gegen die Frage, wie ein solches Leben aussähe. Das wäre im Wortsinne eine Utopie.
Ich wende mich dagegen, individuellen Entscheidungen eine Macht und Unmittelbarkeit zuzusprechen, über die Einzelne nicht verfügen. Die LOHAS-Industrie floriert, weil jedeR im Grunde ahnt, wie miserabel die Gesamtsituation und wie total die Verstrickung des Individuums ist. Was übrig bleibt ist die rein private Suche nach dem moralisch korrektem Konsum, um das Gewissen zu beruhigen. Bereits das ist eine folgenreiche Verblendung, die in der Konsequenz zur besagten »veganen Weltrettungskackscheiße« führt.
Im Kapitalismus befördern nahezu sämtliche Handlungen Gewalt und Unterdrückung, zumal der allgegenwärtige Warentausch. Heute entdeckst du die gewalttätige Tierausbeutung, morgen die zerstörerische Palmölherstellung, übermorgen die Arbeitsverhältnisse auf Kakaoplantagen, danach die ökologisch katastrophale Erdölförderung, die konventionelle Agrarwirtschaft, den irrationalen anthroposophischen Bio-Landbau, die menschenschindende Elektronikproduktion, die mörderische Textilproduktion, Prekarisierung, Lohndumping und Leiharbeit hierzulande, Gender- und »Race«-spezifische Ausbeutung usw.
Dies hat kein Ende, daher ist die Frage müßig, wie sich Einzelne als KonsumentInnen dazu verhalten sollen – es ist gerade das Problem, dass nur diese Subjektivität verblieben ist. Ich halte es für angebracht, sich mit den genannten Aspekten zu beschäftigen, aber nicht, um das Gewissen zu beladen und anschließend einer Konsumform nachzujagen, die vermeintlich zur gesellschaftlichen Überwindung beiträgt.
Was ist nun die Alternative? Dass Mensch und Tier voneinander herrschaftlich abgespalten werden, dass Menschen Menschen und Tiere unterjochen, dass global Milliarden Menschen in dauerhafter Armut und Abhängigkeit leben, sind objektive Verhältnisse, die zunächst einmal analysiert, benannt und kritisiert werden müssen. Wie gesagt machen das bereits viele Linke, AntispeziesistInnen, IdeologiekritikerInnen, kritische TheoretikerInnen usw. Das hat weder direkt mit »ethischem Konsum« oder Veganismus zu tun, noch führt es zwangsläufig dazu. Es ist eine andauernde Aufklärungsarbeit, die selbst eine Praxis darstellt. Angesichts dessen, dass Unterdrückung vielschichtig und verschränkt ist, kommt nicht heraus, dass der Boykott dieser oder der Tausch jener Ware das Problem löst.
Insbesondere Veganismus als solcher ist nicht kritisch, er kommt zumeist naiv »unpolitisch« und auch rechts daher – es gibt auch Neonazi-Tierrechtler. Jedenfalls muss der Veganismus das Kapitalverhältnis, den Mensch-Natur-Dualismus, die Moral, den bürgerlichen Staat, Geschlechterverhältnisse usw. nicht reflektieren.
Die wenigsten der besagten KritikerInnen stellen Veganismus in das Zentrum. Sie propagieren Veganismus z.B. als individuelle Weigerung im Anschluss an ihre Kritik, ohne dass sie dem Veganismus eine Eigenständigkeit oder gar eine revolutionäre Kraft zuweisen. Als Widerspruch und Weigerung, die Tierausbeutung zu unterstützen, halte ich Veganismus für nützlich. Ich habe mit meinem Blog versucht, diese Sichtweise zu stärken – hauptsächlich dadurch, den Fokus auf die Kritik des Mensch-Tier-Verhältnisses sowie Intersektionalität zu lenken.
Dabei darf nicht aus dem Auge geraten, dass die Zivilisation in unzähligen Facetten auf der Gewalt gegen Tiere basiert, die letztlich nur durch eine zu Bewusstsein gekommene Menschheit abgeschafft werden kann. Es versteht sich von selbst, dass reaktionäre Tendenzen des deutschen Veganismus, seine grundlegende Unbestimmtheit und seine Widersprüche problematisiert werden müssen.
11.12.2012