Zum Leben erweckte Natur

Das Tier im Animationsfilm. How To Train Your Dragon, Brave & Nausicaä.

Animal Locomotion, Serienfotografie von Eadweard Muybridge, 1887

Auch wenn How to Train Your Dragon (2010) auf eine Domestizierung und Nutzbarmachung der Drachen hinausläuft, so ist es doch eine bissige Parabel auf Naturbeherrschung, das Mensch-Tier-Verhältnis und die Naturwissenschaft. Dieser fiktionale Mainstream-Kindertrickfilm leistet mehr Kulturkritik als manche Natur- und Tier-Dokumentationen, die Missstände anprangern wollen.

Überhaupt besitzt das Medium viele Möglichkeiten, Begegnungen zwischen Mensch und Tier weniger herrschaftlich darzustellen und sie einander anzunähern. Bei »How to Train Your Dragon« sind Menschen und Tiere schicksalhaft vereint. Beide sind in einen scheinbar ewigen Kampf verstrickt, der so natürlich scheint wie die Unterwerfung der restlichen Natur. »Grenzenlos Natur zu beherrschen, den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln« (Adorno/Horkheimer), das ist auch der Telos der Wikingergesellschaft. »Crush mountains, level forests, tame seas« heißt es im Film.

Doch es stellt sich heraus, dass Mensch und Tier einander keine Feinde an sich sind, sondern beide durch eine dritte Macht determiniert, geknechtet und beschränkt werden. Überwinden können sie die Gewaltspirale, indem sie sich anfreunden, Frieden schließen und sich dem gemeinsamen Feind entgegenstellen.

Es braucht jemanden, der, wie es so schön heißt, aus der Art schlägt und die Ordnung der Dinge infrage stellt: Den männlichen Kriegerkult mit seinem Ideal von Stärke, Gewalt und Naturbeherrschung. Das tradierte Wissen, das die Drachen als das Andere, Feindliche, Gefährliche darstellt, das zu bekämpfen und zu unterwerfen ist. Es braucht jemanden, der den vermeintlich ewigen Kreislauf durchbricht, indem er den Initiationsritus des Drachentötens vereitelt.

Natürlich kommt »How to Train Your Dragon« nicht ohne tierische Niedlichkeit und plumpe Action aus. Die Abspaltung und Personalisierung des Problems in Form eines feuerspeienden Monsters, das sich kapitalistisch die Arbeit der anderen Drachen aneignet, ist ebenso fragwürdig. Dennoch formuliert der Film eine für ein kulturindustrielles Produkt erstaunliche Kritik.

Brave (2012) funktioniert hier ganz anders. Es ist das alte Motiv der Verwandlung in ein Tier, die ständige Angst vor dem Rückfall auf die reine Kreatürlichkeit. »Brave« kennt zum ersten Menschen, zum zweiten anthropomorphe Tiere, in denen eine Menschenseele gefangen ist und welche drohen, zu Bestien zu werden, und zum dritten gefährliche, wilde, seelenlose Tiere. Das Wilde und Tierische wird der Zivilisation, dem Höfischen, der staatlichen Ordnung entgegengestellt.

Die Zivilisation muss sich vor dem Abdriften ins Wilde, Tierische bewahren und der Mensch muss seine »tierischen« Affekte unterdrücken – das ist die Quintessenz des Filmes. Insofern handelt es sich, wenn auch in feudalem, monarchischem Setting, um einen äußerst demokratischen Film. Im schlechtesten Sinne.

Der Film wurde aufgrund seiner starken Frauenfigur Merida als feministisch gelobt, tatsächlich ist er kein bisschen ihrer individuellen Emanzipation verpflichtet. Es geht um die letztliche Einsicht in das Schicksal, in die vorherbestimmte Rolle: Der Film zeigt die Entwicklung zur Herrscherin, gemeint ist die Entwicklung zur Staatsbürgerin, die sich ihren Ehemann nun selbst aussuchen darf.

Ebenso wie sich das Kapital in den Körpern der Warenbesitzer materialisieren muss, braucht es Menschenmaterial, um die Rolle der Staatsbürgerin mit Fleisch und Blut auszufüllen. Der Film handelt von dieser Einpassung und ihren menschlichen Dramen. Zwar begehrt Merida anfangs auf, doch letztlich beugt sie sich, sieht ein, dass ihr Verhalten egoistisch war. Das Schicksal wird nicht geändert, aber seine Sinnhaftigkeit und Alternativlosigkeit werden Merida klar.

Kurz gesagt, es geht um bürgerliche Subjektivität und demokratische Herrschaft. Um die moralisch gute, vermeintlich neutrale Herrschaft, die das Königreich eint, in Abgrenzung zur eigennützigen Alleinherrschaft, die die Menschen gegeneinander aufbringt. Ohne Meridas Führung benehmen sich die Untertanen wie wilde Tiere; Neid, Konkurrenz und Zwietracht herrschen. Merida verkörpert die Herrschaft über das Tierische, und damit die Herrschaft selbst.

Das Tier ist bis zuletzt Manifestation des abgespaltenen Bösen des Menschen. Gewalt, Dominanz und Rohheit werden dem Tier zugeschrieben. Ein Bruder wollte stärker als die anderen werden, wurde dadurch zum gefährlichen Biest, dazu verflucht, grundlos auf ewig zu toben. Am Ende wird der zum Tier gewordene Mensch getötet. Die ewige, friedliche Menschenseele wird aus dem materiellen Gefängnis, das der Körper ist, befreit. Damit kann auch der Zauber aufgehoben werden, der Meridas Mutter zurückverwandelt. Die demokratische Herrschaft siegt, durch Naturbeherrschung.

Zwar existieren Tiere, die neutral oder Freunde der Menschen sind, die differenzierter gezeichnet sind, die etwas eigenes darstellen, die nicht bloße Projektionen sind. Doch spielen diese keine große Rolle. Dominierend sind die Menschen, die anthropomorphen Tiere und die gänzlich zu Biestern degenerierten Menschen. Die anthropomorphen sind bloß verwandelte, nicht der Sprache mächtige Menschen, ansonsten immer noch gesittet. Das Zusammentreffen mit dem »Tierischen« (Fische fangen, Nacktheit usw.) wird als ekelhaft, als Zumutung, als Verfall erzählt.

Ein Lichtmoment ist das Zeigen der blinden Wut der Männer auf den Bären Mor’du, die irrtümlicherweise Meridas Mutter in Bärengestalt trifft. Sie jagen einem Phantom nach. Doch im Kontext der Geschichte gesehen ist dies keine Kritik. Es geht nicht um Rohheit und Wildheit der Menschen gegenüber Tieren, sondern darum, unbeherrschte, unvernünftige, »tierische« Menschen herabzusetzen, zum Gegenstand des Witzes zu machen.

Interessant ist lediglich, dass der Film seine eigene Darstellungsweise offenbart. Die anthropomorphe Bärin bewegt sich zwischen Mensch und Tier. Der Film führt dabei seine eigenen Gestaltungsmittel vor, die niedliche, freundliche, »menschliche« Tiere von wilden, feindlichen unterscheiden und damit die Muster abrufen, die sich in den Köpfen der Zuschauer eingegraben haben. Eine selbstkritische Absicht steckt nicht dahinter.

Einen starken Gegensatz stellt Nausicaä of the Valley of the Wind (1984) von Hayao Miyazaki dar, dessen Aufbau stark dem späteren Welterfolg »Princess Mononoke« (1997) ähnelt. Beide nähern sich der zerstörerischen Menschheitsgeschichte, »Nausicaä« dystopisch und postapokalyptisch, »Mononoke« mit Blick auf Frühkapitalismus und Aufklärung. Erstaunlich ist, dass das Thema Miyazaki seit Jahrzehnten nicht loslässt und er immer weitere Facetten ausleuchtet.

Die Kultur, der Nausicaä entspringt, ist zurückgeworfen auf Handarbeit, auf das mühsame Beackern von Feldern. Sie gräbt Technologie aus der Erde aus, mit der sich die Menschheit einst selbst an den Abgrund gebracht hat. Doch es nimmt kein Ende: Die Überlebenden führen unaufhörlich sinnlose Kriege gegeneinander.

Das Motiv, dass Tiere und Pflanzen die Erde von den menschlichen Verschmutzungen reinigen und dabei die Menschheit schrittweise vertilgen, mag zunächst tiefenökologisch und menschenfeindlich scheinen. Doch offenbar steht die Idee im Vordergrund, dass die Natur dem Menschen bloß deshalb feindlich ist, weil er sie sich im Laufe der Kulturgeschichte zum Feind gemacht hat. Der Mensch erntet, was er sät. Das heißt nicht, dass die Natur sich »rächt« und dass der Mensch zurecht leidet. Es soll die Möglichkeit aufzeigen, jederzeit den Teufelskreis zu durchbrechen. Weil die Natur Selbstheilungskräfte besitzt und der Mensch zum Verstehen fähig ist, ist selbst die Dystopie voller Auswege.

Nausicaä wird als ambivalente Heilsbringerin und gute, gerechte Herrscherin gezeichnet. Durch Herzensgüte gewinnt sie das Vertrauen der Menschen, besonders der Kinder. Gleichzeitig ist sie Heranwachsende, Zögernde, Einzelgängerin, Naturforscherin. Sie hört auf den Wind und fliegt wie ein Vogel, sie kultiviert Pflanzen, sie kann mit Tieren kommunizieren, ihre Emotionen lesen. Sie ist Botschafterin zwischen Mensch und Tier. Nausicaä versteht die Wut der Tiere, die Giftigkeit der Pflanzen. Kein Tier greift den Menschen aus Hass an, sondern aus Angst, zur Verteidigung, zur Erhaltung. Der Aggressor ist der Mensch.

Das ist plakativ und romantisierend, aber weitaus spröder, nüchterner als »Mononoke« oder »Spirited Away« (2001). Dort wiederum macht Miyazaki die altjapanische Mythologie mit ihren Tiergöttern und Naturgeistern gegen die »verwilderte Selbsterhaltung« der Aufklärung stark. Darüber ließe sich gesondert streiten, zumal die Darstellung von Kawaii dominiert ist. Die Feinheit von »Nausicaä«, besonders im Manga, liegt in der Mannigfaltigkeit, Eigenständigkeit und Zerbrechlichkeit der menschlichen Umwelt. Sie offenbart sich dem Menschen, sofern er sich ihr nicht instrumentell nähert.

14.10.2012