Die Wissenschaft hat festgestellt

Düpjan ist Verhaltensforscherin im Institut für Nutztierbiologie (FBN) … mit ihren Versuchen will sie dem Ruf nach artgerechter Tierhaltung eine wissenschaftliche Basis verschaffen.

Wenn die Wissenschaft sich dem Tier beschäftigt, dann unter dem Diktat der Rationalität, der Optimierung des kapitalistischen Betriebes. Empirische, nach gängigen Verfahren gewonnene Daten müssen beweisen, dass die Biester so etwas wie Qualen erleiden. Es wird erst einmal das Gegenteil angenommen, sodass die Frage ernsthaft lautet: Leiden Nutztiere unter ihrer Haltung?

Was auch immer diese »Forschung« bringt, die Konsequenz wird eine Ausweitung der totalen Kontrolle ihrer Lebensäußerungen sein, das weitere Brechen ihrer Natur.

»Emotionen von Tieren sind nur sehr schwer zu ermitteln, darum brauchen wir Hilfsmittel, um sie indirekt zu messen.«

Wenn die Wissenschaft an ihrer Methode zur »Ermittlung« der »Emotionen«, die das Tier behavioristisch zum Automaten degradiert, scheitert, so läuft sie Amok. Sie spannt es in umso erniedrigende Versuche ein und »misst« dabei.

An Ratten wurde der cognitive bias schon erfolgreich erforscht. Britische Wissenschaftler der Universität Bristol hielten ihre Versuchstiere zunächst in Käfigen, die mit allerhand anregendem Inventar ausgestattet waren. Bei der Hälfte der Ratten entfernten sie die Einrichtung nach sieben Wochen. In den anschließenden Versuchen zeigten sich die plötzlich verarmten Tiere tatsächlich pessimistischer als ihre Artgenossen. Aber fühlten sie sich deswegen auch schlechter?

Das ist die Frage der herrschenden Wissenschaft: Wie können Menschen und Tiere mit den Verhältnissen, die sie verarmen und verstümmeln, versöhnt werden? Sind die Verhältnisse wirklich so schlimm oder sind die Individuen bloß »pessimistisch«? Sollten sie vielleicht einfach ihre Einstellung ändern? Look on the bright side of Elend? Kann man auch Tiere zum »positiven Denken« bringen? Dazu wird die Verarmung und Verstümmelung im Laborversuch dupliziert.

»Die Frage ist, ob Tiere tatsächlich Emotionen empfinden oder sich nur so verhalten, als ob sie Emotionen empfinden«, schreibt die britische Verhaltensbiologin Marian Stamp Dawkins

Leiden Tiere eigentlich wirklich oder tun die nur so? Diese Frage muss sich die Wissenschaft stellen und empirisch untersuchen! Durch »Messen« bekommt man das sicher heraus, kann dieses oder jenes »beweisen«.

Düpjan sieht die Sache ganz unvoreingenommen, rein wissenschaftlich-rational:

Düpjan sieht die Sache ganz pragmatisch. »Wenn irgendwann bewiesen wird, dass Tiere nicht leiden können, dann ist das okay«, sagt sie, »bis dahin gehe ich aber vom Gegenteil aus.«

Sie versucht also ihre These zu falsifizieren. Das geht so:

Sie hatte dabei die Vokalisation von Hausschweinen in verschiedenen Stresssituationen untersucht. Füttert man den Computer mit solchen Daten, spuckt der ein klares Muster aus: Welche Grunzer, Quieker und Grunz-Quieker gehören zu welcher Belastung? »Schweine teilen ihren Stress mit«, sagt Düpjan, »wir müssen nur lernen, sie zu verstehen.«

Man führe »Stresssituationen« herbei und messe, wie der Automat reagiert. Da die »Nutztiere« ständig mannigfaltigen »Stresssituationen« ausgesetzt werden, kommt sicher ein schöner Haufen an Messwerten zusammen.

Der Computer analysiert diese Daten und hilft uns, die Äußerungen zu »verstehen«. Ein Durchbruch, eine Sensation! Schmerzen, Todesangst und unermessliches Leid werden endlich messbar, also fassbar gemacht für die instrumentelle Vernunft. Dem Computer sei dank.

Tatsächlich ist es dem Menschen, der im Laufe des Zilivisationsprozesses die Fähigkeit der Mimesis erfolgreich beherrscht und überwunden hat, nicht anders möglich, zu dieser Einsicht zu kommen. Da er die schiere Evidenz der allgegenwärtigen Qual und Folter nicht mehr registrieren kann, nachdem er sich erfolgreich selbst verstümmelt hat, baut er Maschinen, die Lebensäußerungen quantifizieren, zum empirischen Datum, zum neutralen Fakt degradieren. »Dem blutigen Zweck der Herrschaft ist die Kreatur nur Material.« (Adorno/Horkheimer) – Datenmaterial für die Wissenschaft, wäre hinzuzufügen.

Beim Mensch wie beim Tier wird »Stress« vom Gesellschafts- zum Naturphänomen verdinglicht. Dieser Begriff steht stellvertretend für die Erkenntnistheorie der positiven Wissenschaft, die nicht imstande ist, menschengemachte Beschädigungen und Erniedrigungen als solche wahrzunehmen und also ihre Überwindung zu fordern.

Am FBN wurde sogar ein Detektor entwickelt, mit dem Stressschreie registriert und ausgewertet werden können, etwa während eines Tiertransports. Die Schreie, die ein Ferkel ausstößt, wenn ihm ohne Betäubung der Samenstrang durchtrennt wird, liegen eindeutig im höchsten Stressbereich.

Darauf kann die Naturwissenschaft ohne ihre »Detektoren« nicht kommen, denn das gesellschaftliche Sein bestimmt ihr Bewusstsein. Doch der blutige Schluss der methodisch korrekten Wissenschaftlerin ist noch nicht vollendet:

Dass dieser Stress Angst und Schmerz für das Tier bedeutet, konnte Düpjan beweisen, indem sie die umgekehrte Probe machte: Sie stimulierte mit einer Neurosonde das Angstzentrum im Gehirn der Schweine. Diese stießen dabei Laute aus, die zu großen Teilen mit den Stressschreien übereinstimmten.

Besser als mit diesen Sätzen, aus denen die brachiale Gewalt nur trieft, lässt sich die herrschende Vernunft nicht verbildlichen. Der Schrei hat keine Worte.

»Dem Menschen gehört die Vernunft, die unbarmherzig abläuft; das Tier, aus dem er den blutigen Schluß zieht, hat nur das unvernünftige Entsetzen, den Trieb zur Flucht, die ihm abgeschnitten ist. Der Mangel an Vernunft hat keine Worte.« (Mensch und Tier, Adorno/Horkheimer)

15.04.2012