Born this way?

Ein Diskurs, dessen Regeln mir nicht einleuchten wollen, ist die vornehmlich US-amerikanische Debatte über Homosexualität. Sämtliche Parteien, homophobe Christen einerseits und LGBT-Aktivisten andererseits, scheinen dieselben Grundannahmen zu teilen. In diesem festen Rahmen nehmen sie zwar entgegengesetzte Positionen ein, kämpfen aber mit denselben Methoden auf demselben Feld. Dabei gälte es die Grundlagen diese Debatte infrage zu stellen.

Die entscheidende Frage ist, ob deviantes Begehren, hier Homosexualität, angeboren sei oder ob es der freie Wille (»choice«) des Individuums sei, sich für oder gegen dieses Begehren zu entscheiden. Diese Frage steht nicht im leeren Raum, besagtes Schlachtfeld ist durch Heteronormativität bereitet: Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Trans* wird vorgeworfen, ihr Begehren sei »nur« durch die (dekadente) soziale Umwelt geprägt oder eine (moralisch verwerfliche) individuelle Wahl. Irgendjemand oder irgendetwas hätte sie also zu dieser Unnatürlichkeit, dieser Abnormität, dieser Abweichung gebracht.

Diese Gegenüberstellung von Natürlichkeit und Kultürlichkeit beinhaltet, dass ein Schwuler seine »Meinung« ändern kann oder eine Lesbe durch »Umerziehung« auf den richtigen Hetero-Weg zurückgebracht werden kann (»conversion«). Es ist notwendig anzunehmen, dass es keine biologische Determiniertheit gibt, um LGBT moralisch anzuklagen, ihr Begehren als »pervers« und die Gesellschaft zersetzend zu brandmarken. Homosexualität muss demnach als historisch verstanden werden, als eine Erfindung der »homosexual agenda«, die unsere Kinder zu Perversen erziehen will. Durch diese Annahme geht die Logik der Konservativen auf.

Es geht allerdings nicht bloß um einen biologischen Determinismus, sondern ferner um göttliche Prädestination. Homophobe Christen müssen annehmen, dass Gott keine Homosexuellen erschafft. Denn sie glauben, dass das Neugeborene als Gottes Schöpfung moralisch rein und ein gottgefälliges Ebenbild sei. Erst durch seinen freien Willen kann der Mensch in Ungnade fallen oder ein gottgefälliges Leben führen. Wenn ein Homosexueller als Homosexueller geboren werden würde, so wäre dieser Glauben nicht haltbar.

Warum also homophobe Christen größtenteils darauf beharren, dass Homosexualität »choice« sei, liegt auf der Hand. Anstatt diese Natur-Kultur-Debatte aufzubrechen, fällt den LGBT-Aktivisten nun nichts anderes ein, als diesen reaktionären Maßstab anzuerkennen, sich aber auf der entgegengesetzten Seite zu verorten. Sie stellen sich auf die Seite der Natur.

Das ist als strategische Reaktion nützlich, in der Sache jedoch äußerst problematisch. Tatsächlich ist Homosexualität keine beliebige Meinung, wie intensiv oder sporadisch sie auch sein mag. Sie ändert sich nicht durch Zwangskonversion oder Unterdrückung.

Problematisch ist diese Reaktion, weil sie sämtlichen linken Argumentationslinien widerspricht: Andere emanzipative Kämpfe drehen sich um die individuelle Willens- und Handlungsfreiheit, gegen die Schicksalhaftigkeit von sozialen Ordnungen und Herrschaftsstrukturen. Nicht umsonst lautet das Motto der reproduktiven Selbstbestimmung »Pro choice«. Es war das Ziel der Queer-Theorie, gender, sex und desire als gemachte soziale Kategorien zu entlarven und sie als gewalttätig normierend zu denunzieren.

Die Annahme, dass die »sexuelle Orientierung« angeboren sei, ruft die Biologie und Medizin auf den Plan, um sie mit naturwissenschaftlichen Fakten zu bekräftigen. Ein Comic aus dem Film »For The Bible Tells Me So« argumentiert mit biologischer Determination gegen Fundichristen. Es ist eher uninteressant, was die Biologie für Erklärungen aufstellt. Es wäre nach dem Erkenntnisinteresse und dessen gesellschaftlichen Grundlagen zu fragen. Warum sucht man nach biologischen Ursachen und welche Bedürfnisse bedient die Biologie damit?

Ganz offenbar haben die LGBT das Natürlichkeitsdenken derart internalisiert, dass sie von der Biologie erwarten, ihrem Begehren den Persilschein der »Natürlichkeit« auszustellen. Es soll Gründe in ihrer biologischen Ontogenese geben, die sie zu LGBT gemacht haben. Gründe, auf die sie keinen Einfluss hatten – Determination durch Gene, Hormone, Geburtreihenfolge oder dergleichen. Wie gesagt soll das hier nicht pauschal verurteilt werden, ist es doch zunächst eine Reaktion auf die homophobe Umwelt:

»A cross-national study in the United States, the Philippines, and Sweden found that those who believed that ›homosexuals are born that way‹ held significantly more positive attitudes toward homosexuality than those who believed that ›homosexuals choose to be that way‹ and/or ›learn to be that way‹.«

Wikipedia: Biology and sexual orientation

In dieser Situation erscheint es strategisch notwendig, als LGBT für »born this way« zu plädieren, es bleibt aber unreflektiert. Ohnehin geht diese Strategie nicht auf, denn manche Konservative erkennen die biologischen Erklärungen durchaus an. Auch Homophobe haben die Biologie für sich entdeckt und tragen ihre Interessen an sie heran. So zitiert die Wikipedia Orson Scott Card von der »National Organization for Marriage«:

»Our scientific efforts in regard to homosexuality should be to identify genetic and uterine causes, as well as environmental and social influences that put their children at greater risk of this reproductive dysfunction so that the incidence of this dysfunction can be minimized, and where it occurs anyway its negative effects on the individual and the rest of society can be minimized.«

Sprich, das biologische Wissen über genetische und hormonelle Faktoren sollte genutzt werden, um frühzeitig und wirkungsvoll gegen die »reproductive dysfunction« der LGBT vorzugehen. Jeder Mensch solle nämlich »reproductive success – i.e. »evolutionary normality« erreichen können.

Einerseits wird hier biologisches Wissen zur Verstümmelung der Natur herangezogen, andererseits wird »Natürlichkeit« zur sozialen Norm erhoben. Selbst wenn die Biologie ein Kontinuum vieler Geschlechter feststellt und keine strenge Verursachung eines Begehrens behauptet, kann der Rekurs auf die Biologie offenbar eine beliebige Rolle spielen, wie es den Akteuren gerade in den Kram passt.

Daher ist zu fragen: Was wäre so schlimm daran, gender, sex und desire als individuelle Entscheidung zu verstehen ausgehend davon, dass die Entscheidungsfreiheit des Individuums der einzige politische Maßstab sein sollte? Wenn Homophobe dies als »unnatürlich« beschimpfen, dann müssten Linke den Rekurs auf »die Natur« zurückweisen. Wenn Homophobe argumentieren, es sei »nur eine Entscheidung«, dann müsste die Antwort lauten: Ja, wir haben uns dafür entschieden, und wir fordern diese Freiheit ein.

Einer weiteren Rechtfertigung qua »Natürlichkeit« und »es ist mir angeboren« bedürfte es nicht. Diese Fundierung würde vor vielen problematischen Implikationen schützen, die das Beharren auf einer vorherbestimmten und damit im Laufe des Lebens unabänderlichen, sondern nur auffindbaren sexuelle Orientierung hat. Feste, einschränkende Identitäten wie »hetero«, »schwul« oder »lesbisch« würden sich damit öffnen und verschwimmen. Damit würde die Heteronormativität um ihren Mechanismus beraubt, Menschen anhand (vermeintlicher) Abweichungen als »Andere« zu klassifizieren und gewalttätig auszuschließen.

Die Popmusikerin Lady Gaga hat »Born this way« jüngst zu ihrem politischen wie künstlerischen Motto erklärt. Sie lässt sich auf die christliche Argumentation ein und kehrt sie um: »God makes no mistakes«, »he made you perfect«. Göttliche Prädestination soll es also gewesen sein. Zudem weitet sie ihr Motto auch auf Benachteiligungen aufgrund von Race, Class, Ethnizität und Behinderung aus:

Whether you're broke or evergreen
You're black, white, beige, chola descent
You're lebanese, you're orient
Whether life's disabilities
Left you outcast, bullied or teased
Rejoice and love yourself today
'Cause baby, you were born this way

Nun ist nichts dagegen einzuwenden, dass sich ein Weltstar offensiv der LGBT-Bewegung zuordnet, dass Lady Gaga sich mit den Ausgestoßenen und Queers solidarisiert und ihnen Mut zusprechen will. Ganz im Gegensatz zur »Born this way«-Rhetorik appellieren ihre Performances nicht an eine Natürlichkeit, sondern brechen diese auf. In ihren Kunstwelten gibt es keinen prädestinierten Platz für den Einzelnen. Sie kann alles sein: mal die Muttergöttin, die ein neues, androgynes und tolerantes Menschengeschlecht hervorbringt, mal ein Skelett im Drag-King-Outfit, während sie singt »don't be a drag - just be a queen«.

Dennoch konterkariert es eine materialistische Gesellschaftskritik, wenn soziale Verhältnisse und individuelle Handlungen als göttliche bzw. biologische Prädestination verstanden werden. Den Armen und rassistisch Verfolgten »Just love yourself and you’re set« zuzurufen, unterstützt sie nicht in ihrer Emanzipation, sondern kann nur heißen, dass sie sich mit ihrer Situation abfinden sollen. Schließlich wurden sie in Armut, Rassismus und Homophobie hineingeboren.

Literatur: We Weren’t “Born This Way”: A Critique of Lady GaGa von Liam O’Ceallaigh

12.03.2011