Trinken zum Ausgleich

Ein Psychologe der »Deutschen Angestellten-Krankenkasse« kommentiert die Zunahme des sogenannten »Komasaufens« unter Jugendlichen wie folgt: »Exzessives Trinken ist kein Ausweg, um Anforderungen in Job oder Schule auszugleichen.« Ebenso sekundiert er das Umfrage-Ergebnis, dass sich 59 Prozent der Menschen weniger Stress wünschen, mit folgenden Worten: »Die Anforderungen in Job, Familie und Haushalt parallel zu meistern, ist oft mit dauerhaftem Stress verbunden.«

Auf dieses euphemistische Geschwafel von »Anforderungen« darf die Antwort nur eine Maulschelle sein. Die um die Gesundheit des Volkskörpers und die Leistungsfähigkeit der Arbeitskraftbehälter besorgten Mediziner kennen bessere »Auswege« – die keine sind. Sie wissen bessere »Bewältigungsstrategien« anzubieten: Bewegung, gesunde Ernährung, Entspannung usw. In der Sache völlig gegeben: Anders ist diesen Subjekten das gesellschaftliche Überleben nicht möglich. Sie müssen nach einem »Ausgleich« zur Schinderei suchen. Diese Suche bleibt notwendigerweise vergeblich, nichts und niemand kann die Entfremdung und Verstümmelung »ausgleichen«. Eine ganze Industrie hat als objektiven Zweck, diese Täuschung zu perpetuieren, bei der aufgezwungenen Selbstoptimierung zu assistieren.

Es ist besonders zynisch und absurd, den angehenden Arbeitskraftunternehmern in dieser ausweglosen Lage das Trinken madig zu machen mit dem Argument, es trage nichts zum Erfüllung ihrer »Anforderungen« bei. Dass es das nicht soll, hindert die Kritiker nicht daran, diesen Maßstab anzulegen – sie kennen keinen anderen. Die Produktion muss schließlich weitergehen, koste es, was es wolle. Als ob die Jugendlichen nicht wüssten, dass das »Komasaufen« höchstens der Ablenkung, Betäubung und Flucht dient und bewusst nichts zur Normierung und Disziplinierung der Körper beiträgt, eben keine zum jenem Ziel führende »Technologie des Selbst« ist.

31.12.2010