Drei Polemiken, weil Deutschland das Maul nicht hält

1. Schreiben, bis das Mordopfer weg ist

Was muss ein Mörder eigentlich tun, damit sein Mord als islamfeindlich durchgeht? Eine Frau offenkundig deshalb umbringen, weil sie gläubige Muslima, angebliche islamistische Terroristin ist? Nein, das reicht nicht aus: Ganz allgemein rassistisch, weil ausländerfeindlich, meinen Thomas von der Osten-Sacken und Alex Feuerherdt, sei dieser Mord zweifellos. Aber wer von einem Hass gegen den Muslime hinter diesem Mord spreche, der spiele nur den berufsmäßigen Vertretern des Islams in die Hände, die den Mord für ihre Zwecke instrumentalisieren. Es »wird nun das ›erste Todesopfer eines islamfeindlichen Übergriffs in Deutschland‹ (Taz) herbeigeschrieben«, meint Osten-Sacken.

Das Todesopfer wurde, das sei einmal vermerkt, allerdings nicht herbeigeschrieben, sondern herbeigemordet, und insofern wäre die Frau vor Axel Ayyub Köhler genauso zu schützen wie vor Alex Feuerherdt.

Diese absurde Haltung zeigt die Sackgasse, in die sich eine bestimmte Position gebracht hat: Einen spezifischen Hass auf Muslime darf es entgegen empirischer Erkenntnisse nicht geben, weil alleine das Eingeständnis, dass es so etwas gibt, dazu missbraucht werden könnte, ihre natürlich völlig emanzipatorische Islamkritik mundtot zu machen. Gerade in dem Moment, wo reaktionärer Islamhass, der tagtäglich von Medien wie Politically Incorrect geschürt wird, seine inhärente mörderische Gewalt entfaltet, entfaltet sich der Zynismus derjenigen, die kategorisch jeden spezifischen Rassismus gegenüber Moslems leugnen - weil sie darum fürchten, dem institutionalisierten Islam in die Hände zu spielen.

Udo Wolter versucht eine universalistische Islamkritik mit einem kritischen, materialistischen Begriff der Menschenrechte. Ferner eine Kritik des Begriffs »Islamophobie«. Ohne dabei einen Rassismus zu leugnen, der sich spezifisch gegen Muslime richtet.

2. Prowestliche Eschatologie: Sich der Emanzipation zur Verfügung stellen

Der Kommentar, den sich Tjark Kunstreich redlich verdient hat:

»Tatsächlich besteht die begründete Hoffnung, dass – wie Tjark bereits ausführte – die Menschen sich dem Westen öffnen, ihre Antipathie gegenüber Israel fallen lassen und sich der allgemeinen wie individuellen Emanzipation zur Verfügung stellen.«

Dieser Auffassung von Individualität ist wenig hinzuzufügen, diese Metaphorik sagt bereits alles. Der Weg zum Heil ist vorgezeichnet, die Unwissenden aus dem Morgenland müssen gen Westen ziehen. Sie müssen den Messias als ihren Retter annehmen und sich erleuchten lassen. Sie müssen all ihre bisherigen Kämpfe aufgeben und die Kapitulation erklären. Wenn die Emanzipation eines Tages an dein Haus klopft und dich auffordert, ihre Schlacht zu kämpfen, dann stelle dich ihr – »zur Verfügung«.

Nein, liebe Westler, die Emanzipation wird keine Niederlage, keine Unterwerfung, kein Dienst und kein Eintreten in eine vorhandene Armee sein. Sondern das – noch auszuhandelnde – Gegenteil.

3. Spaltet die Linke oder: »Wir sind das Volk, nicht sie«

weiß Alan Posener den deutschen Israelfeinden entgegenzuhalten. Lediglich in diesem Punkt haben die berufsmäßigen Antideutschenfresser à la Witt-Stahl in ihrer Rechtfertigung der Gewalt recht: Der Eintritt ins Establishment ist den Kritikmaximierern gewiss, denn auf der Seite der Opfer stehen sie nun endgültig. Ob Fahrradkette oder »besonnene Backpfeife«, der Schlag des Israelhassers ist ihnen Bestätigung und robustes Mandat zugleich.

Die Szenen leben auf und freuen sich über einen identitätsstiftenden Referenzpunkt. Kommandoerklärungen werden verfasst, Stellungnahmen, Forderungen. Man redet schon lange nicht mehr ein vernünftiges Wort miteinander, will sich dennoch gegenseitig Bescheidstoßen: Die einen wollen den »Antisemiten« erklären, warum Israel existiert (»wegen der Shoah«), die anderen wissen das längst: »Kolonialismus« (oder so). Auf beiden Seiten werden dieselben reflexionslosen Dogmen seit Jahren wiederholt, der Jargon wird abgespult, die Gegenseite als »reaktionär« betitelt. Je mehr sich die Kontrahenten miteinander befassen, desto dümmere Statements kommen heraus, die ihre aufs griffigste zusammengedampfte Theorie perpetuieren.

Barbaren, Linksnazis oder schlicht: Antisemiten. Banden, Mobs, Meuten, Rackets! Furor! Wahn, Wahn, Wahn! giften die einen in freudscher-adornitischer Manier. Schon lange wurden nicht mehr so viele Texte verfasst, die dieses Wort durch sämtliche Komposita treiben. Während die einen einst zehn Euro für den irakischen Widerstand forderten, lassen die anderen die antideutsche Phrasenkasse klingeln und schöpfen aus den vollen: »Pathische Projektionen«, »regressive Versöhnung mit dem falschen Ganzen«. Das vorgefertigte Vokabular, das starre Credo liegt bis in die sprachliche Form bereit und hat nur auf die Anwendung gewartet. Sie sind am Ende der Fahnenstange angekommen, nachdem sie das Scheitsche und Grigatsche Œuvre ausgelesen haben. Dann kann nicht mehr gedacht, sondern nur noch gebetet werden: »Darum Israel« in zehn Sätzen mit unangreifbarem Wahrheits- und Ewigkeitsanspruch, in denen sich die Kritik, das war ein mal der Widerspruch, zur Ideologie verhärtet hat. Man hat den Antisemitismus vollends und letztgültig verstanden, er »begrifflicht« »die Barbarei des falschen Ganzen«. Man weiß, was man zu tun hat: die »eigene Perspektivlosigkeit« zu »reflektieren«. Man weiß, wie Israel zu begreifen und zu begrabschen ist. Antideutsches Establishment eben, das jetzt wieder damit droht, einen »Konsens herzustellen«.

Jene, denen die Existenz Israels und die »Provokationen« des antideutschen Mainstreams der brennendste Stachel im Fleisch sind, bekommen selbstverständlich keinen klareren Gedanken heraus. Neocons, Kriegstreiber, Lügner, giften sie. »Schwuchtel« hingegen will nachher natürlich niemand gerufen haben. Es wird jeweils den anderen vorgeworfen, die Verdammten dieser Erde, das »konkrete individuelle Schicksal« der von Hamas bombardierten Israelis respektive der von Israelis unterdrückten Palästinensern seien ihnen egal. Um diese geknechteten Wesen steht es tatsächlich erbärmlich: Niemandem will man in seinem Elend die deutsche Israelsolidarität oder gar den deutschen Antizionismus an den Hals wünschen. Es darf bezweifelt werden, dass das Gros der »Israelkritik« ebenso wie das der »Islamkritik« jenen bedrängten Kreaturen aus ihrer Unmündigkeit verhilft. Da helfen weder die Kampfansage gegen den »westlichen Lebensstil« und andere schlagkräftige Argumente der Antizionisten, noch die antideutschen Popstars, deren »Kritik der Nation« die Ungleichheit dieser Nationen entfaltet und eine Huldigung des einzigen wahren Notwehr-Nationalismus ableitet, der in Richtung Kommunismus segle.

Israel wiederum hat das »Existenzrecht« als deutsches Geschenk genauso wenig nötig wie der Nahe Osten derartige »intensive internationalistische Arbeit«. Wir nennen es Arbeit! Am wenigsten geht es, das machen beiden Seiten unmissverständlich klar, um jenen Film von Claude Lanzmann. Dass man sich seine Feinde nicht aussuchen kann, ist schlimm genug, aber dass sich jeder zum Freund aufschwingt, zeigt, dass man dieses deutsche Pack nur im Doppelpack bekommt: Die Linkspartei ruft Hurra, wenn Täterenkel die Aufgabe übernehmen, für eine »Artikulation« der »Erfahrung jüdischer Menschen« zu sorgen. Soweit ist es also schon gediehen.

Gegen Gewalt zu sein reicht in diesem Falle nicht aus. Dass sich dieses Pack aufs Maul gibt, sei hier ausdrücklich befürwortet. Sie wollen sich gegenseitig aus »linken Zusammenhängen«, wie es so schön heißt, »ausschließen«. Sie sollen es tun, am besten bis niemand mehr da ist und nichts mehr zusammenhängt.

21.11.2009