Neurechte zu Neocons, Pflugscharen zu Schwertern

In einem mittelmäßigen Antifa-Flugblatt zu Pro Köln und dem »Anti-Islamisierungskongress«:

diese Zitate [belegen] eindrücklich, dass es »Pro Köln« nicht um eine tatsächliche Kritik an Islam und/oder Islamismus geht, sondern dass die Angst vor der sogenannten »Überfremdung« Deutschlands und Europas die eigentliche Triebfeder ihres Handelns ist. (...)

Islamist_Innen werden also nur, bzw. erst dann, als problematisch empfunden, wenn sie sich auf »deutschem« oder »europäischem« Boden aufhalten und die »angestammte« Kultur vermeintlich zersetzen oder diese von außen vermeintlich bedrohen.

Den »Islamisierungsgegnern« wird vorgeworfen:
  1. Die Deckmantel- bzw. Vehikel-These: Sie sagen das, was sie sagen (Stimmungsmache gegen den Islam), nicht, um das naheliegende damit zu bezwecken, sondern weil sie hinterhältig etwas (vermeintlich) Anderes bezwecken (Rassismus und Volksgemeinschaft)
  2. Das, was sie sagen, ist keine richtige Islamkritik, weil sie den Islam nur in »Europa« kritisieren. Ihre Kritik ist also verkürzt und geht nicht weit genug.
Nun, beides stimmt auf seine Weise, aber die Vorwürfe sind vielmehr konstruktive Verbesserungsvorschläge an die Islamisierungsgegner.

Die Opposition zum Islam bei der europäischen Rechten, beispielhaft FPÖ und Pro Köln, dient ganz selbstbezogen der Abschottung. Der Chauvinismus richtet sich nach innen: Heimat, Volk, Nation, Europa. Der ethnopluralistische Rassismus dient der Festigung des Eigenen (»unsere« »(Leit-)Kultur« und »Identität«) und der Abgrenzung der anderen. Man will »Herr im eigenen Hause sein«. Das organische Volk ist durch Zuwanderung bedroht und der Islam gilt als eine angreifende ausländische Macht, die nationale und europäische Stärke und Unabhängigkeit in Frage stellt. Der Integrationsdiskurs der Mitte wird hier nur auf den Punkt gebracht und radikalisiert: Einig ist man sich in der »moralische[n] Überhöhung des Volks zur sittlichen Einheit, zur Wertegemeinschaft« und darin, durch Integrationspolitik der »Zersetzung der Volkseinheit Einhalt gebieten« zu müssen (Freerk Huisken).

Wer »unsere Kultur bewahren und sicherstellen« will und eine Anpassung an »unsere Sitten und Gebräuche« fordert, dem geht es nur um das Einschwören auf das Kollektiv. Das weiß sich als »westlich-freiheitlich-demokratische Gesellschaft« überlegen, schließlich achtet es Menschen- und Frauenrechte (H.C. Strache in der Video-Grußbotschaft zur Anti-Islamisierungskonferenz). Insofern ist der rechte Kampf gegen die »Islamisierung« lediglich kulturrassistisch und gibt nicht einmal vor, den Islam als solchen kritisieren zu wollen. Phrasen wie »unsere Interessen in den Mittelpunkt der Politik rücken« und »den christlich-abendländischen Charakter unseres Europas erhalten« leiert Strache geübt herunter und wiederholt Abschiebedrohungen mehrfach. Bei einer Aussage über islamisch geprägte Länder verhaspelt er sich nur: »Wir erleben Defizite in der Beseitigung von Menschenrechten [sic] und dem freien Recht auf Religionsausübung in vielen islamischen Ländern«. Diese Aussagen dienen bloß dem Aufbau des Feindbildes, man sieht nur sich selbst als Opfer des politischen Islams, und in islamischen Ländern wird ausschließlich das Schicksal der Christen beklagt.

Von einem Deckmantel oder Vehikel kann keine Rede sein. Den Rechten kann ihr Wille, den »Westen« und die »freiheitliche Demokratie« vor dem barbarischen Ansturm zu schützen, durchaus abgekauft werden. Die verbreitete Furcht vor der »Islamisierung«, die stillschweigend als legitim angesehen wird, wird nicht etwa aufgegriffen, umgewendet und als Vehikel für Rassismus »missbraucht«, sondern sie ist bereits rassistische Ideologie. Dass es nun insbesondere Muslime trifft, ergibt sich aus der weltpolitischen Frontstellung nach 9/11. Es gibt an dieser Stelle keine Trennung zwischen vorgeblichem ehrenwerten Zweck (»Anti-Islamisierung«) und eigentlichem, verabscheuungswürdigen Zweck (Rassismus). Eine solche moralische Unterscheidung findet sich freilich im demokratischen Diskurs, der für sich gute, vernünftige Islamkritik beansprucht und vom bösen Rassismus der »Extremisten« abgrenzt. Es ist lediglich festzustellen, dass die »Islamisierungsgegner« daran anzuknüpfen versuchen. Sie daran zu blamieren, ohne die übliche Trennung zu kritisieren, wäre absurd.

»Ich verstehe, dass Menschen Angst haben (...) ich habe für die Ängste vieler Anwohner wirklich Verständnis«, sagt Henryk M. Broder, und verklärt damit nicht nur die völkischen Denkmuster, sondern hängt ebenfalls der Vehikel-These an. Mit diesem Modell lassen sich die Islamisierungsgegner als »Populisten« von seriöser Politik abgrenzen. Das liegt im ureigensten Interesse der Staatsantifa vom Schlage eines Fritz Schramma. Wer vollstes Verständnis für die »Angst vor einer Überfremdung« hat und glaubt, die Islamisierungsgegner »missbrauchen« diese berechtigte Angst bloß, sanktioniert lediglich den Anspruch der Rassisten der Mitte, das Muselproblem pragmatisch lösen wollen: »Sie wissen, dass die radikale Lösung, welche die Rechtskräfte offen und sie als Demokraten nur klammheimlich favorisieren, unabsehbare innen- und vor allem auch außenpolitische Folgen fürs deutsche Gemeinwesen hätte. So haben sie nun nach einigen Jahrzehnten beschlossen, dass sie sich mit den ›Fremden‹ arrangieren müssen.« (Huisken)

Die Antifa weiß dem völkischen Ethnopluralismus einen »fortschrittlich-aufklärerischen« Universalismus entgegenzustellen. Darin erschöpft sie sich leider. Dabei kann sich rassistische Ideologie freilich auch universalistisch im Namen von Fortschritt und Aufklärung gerieren, und zum Siegeszug dieser Spielart verhält sich der der völkische Rassismus wie ein Auslaufmodell. Insofern ruft die Antifa der europäischen Nouvelle Droite lediglich zu, doch endlich die Wendung zu den deutschen Neocons, den sogenannten Liberalen zu vollziehen. Diese ersetzen das Wort »Kultur« durch »Zivilisation«, wodurch der Partikularismus eine Wendung nach außen vollzieht: Sie machen die Liebe zum »westlich-freiheitlich-demokratischen« Deutschland gerne mit, aber an dieser Leitkultur soll auch die Welt genesen.

Um die Überfremdungsängste politisch nutzbar zu machen, muss man keine explizit völkische Rhetorik auf der Zunge haben, es geht auch universalistisch und interventionalistisch, wie es die »Achse des Guten«, »Politically Incorrect« und »Gegenstimme« demonstrieren. Die weltweite Frontstellung Westen vs. Islam hat jeder Idiot auf der politischen Bühne internalisiert. Die Vorstellung, dass »der Islam« auch woanders »ein Problem« ist, ist bereits hegemonial und für sich genommen nicht das Andere zum völkischen Rassismus, der sich auf die Verteidigung der Scholle kapriziert, sondern ist durchaus als sein außenpolitisches Gegenstück möglich. Von der Antifa ergeht der Ruf an die verbleibenden völkischen und anti-imperialistischen Querköpfe, endlich »Vernunft« anzunehmen und sich in die Phalanx der aufrechten Demokraten einzureihen, die gelernt haben, ihr völkisches Gehabe zu rationalisieren und ihren Herrschaftsanspruch zu universalisieren.

Aber weiter im Antifa-Text:

Unter dem Deckmantel der Verteidigung des »christlichen Abendlandes« verbirgt sich lediglich der Rassismus derjenigen, die schon immer fanden, es gebe »zu viele Ausländer« in Deutschland.

Migrant_Innen aus muslimisch geprägten Herkunftsländern werden pauschal als Bedrohung empfunden – ganz gleich, ob es sich denn überhaupt tatsächlich um Muslim_Innen handelt oder nicht.

Noch so ein konstruktiver Verbesserungsvorschlag. Auch wenn die Rechten vorhandene Rassismen bloß abzurufen brauchen, liegt hier durchaus ein spezifischer Rassismus vor. Nicht die Pauschalität ist das Problem – als wäre der Rassismus besser, der sich spezifisch gegen Muslime richtet. Das ist dummerweise im Mainstream-Diskurs längst der Fall, nichts anderes spricht aus Einbürgerungstests für Muslime. Denen scheint die Antifa hier unbemerkt das Wort zu reden.

Migrant_Innen werden in [großen Teilen der antirassistischen Linken] nicht als reflexionsfähige Individuen begriffen, die (...) gesellschaftlichen Verhältnissen und Strukturen unterworfen sind, die Menschen zu reaktionären werden lassen können, aber nicht müssen.

Es wird antikulturalistisch betont, dass das Individuum die Möglichkeit hat, sich aus der reaktionären Sozialisation zu lösen. Das ist prinzipiell richtig. Hier wird es gegen die vermeintlichen (s.u.) linken Kulturalisten in Anschlag gebracht. Nun ist die Logik, dass Ausgrenzung zur Eigenkulturalisierung führt, zunächst einmal eine sozialwissenschaftliche Beobachtung und für sich genommen keine Rechtfertigung oder Relativierung.

Noch weniger lässt sich diese Möglichkeit der individuellen Emanzipation gegen die rechten Kulturalisten wenden, denn sie ist gleichzeitig die Voraussetzung für den rassistischen Integrationsdiskurs. Selbst die Kulturalisten sehen das Individuum nicht völlig unabänderlich seiner Herkunfts-»Kultur« zugehörig. Mit der Forderung nach Einwanderungsstopp und Abschiebungen geht die Forderung nach totaler Anpassung an »unsere Sitten und Gebräuche« einher: »Entweder die Ausländer stellen ihren Integrationswillen praktisch unter Beweis, werden 150%ge Deutsche, die in Wille und Tat zur deutschen Staatsführung stehen, oder sie haben hier nichts zu suchen.« (Huisken)

Gesellschaftlich wird die Loslösung von Kollektiven nicht als individuelle Emanzipation verhandelt, sondern (absurderweise) als »staatsnützliche« Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft, d.h. Leben und Arbeiten für das deutsche Volk. Genau das will Pro Köln: »Insbesondere müssen wir unsere Einwanderungspolitik verändern. Diese muss ausschließlich gemäß den ökonomischen und demografischen Bedürfnissen der Bundesrepublik ausgerichtet sein.« Damit spricht Pro-Köln-Vorsitzende nur die allgemeine Losung des deutschen Migrationsregimes aus. Auf den Primat des »Wohles des deutschen Volkes« lässt freilich niemand etwas kommen.

Wer also nicht über Islamismus, Patriarchat oder Nationalismus in migrantischen Milieus reden will (...), der macht sich nicht nur der Verharmlosung (...) mitschuldig. (...)

Stattdessen sollte auch in antirassistischen Kreisen endlich die Banalität zur Kenntnis genommen werden, dass (...) auch Opfer von reaktionären Denkformen selber Anhänger_Innen von ebensolchen sein können, und dass deshalb auch Kritik an nicht-autochthonen Anhänger_Innen von reaktionären Ideologien notwendig ist, ohne damit die Tatsache zu verhehlen, dass diese dennoch Opfer von Rassismus und Xenophobie geworden sind oder werden können.

So banal diese Aussage eben ist, dass Islamisten nicht mit Samthandschuhen anzufassen sind, nur weil sie auch rassistisch-deutschen Zumutungen ausgesetzt sind: Wer sind eigentlich diese Kreise, in denen solche Denk- und Sprechverbote herrschen sollen? Die scheinen mir, da stets konkrete Referenzen fehlen, eher ein Phantom zu sein, das man aber allerorten als Pappkamerad zur Abgrenzung heraufbeschwört.

In ihrer Frontstellung gegen Deutschland und den Islam ignoriert die Antifa geflissentlich, dass dieses Argument der »islamkritischen« (Ex-)Linken vor allem dazu dient, Deutschland als Objekt der Kritik durch den Islam auszuwechseln. So nutzt die Kölner Zeitschrift Pro Domo (lat. für die Heimat, für das Vaterland) das von Pro Köln bereitete Feld, wenn sie über »antideutschen Rassismus« schwadroniert.

Sich an der Außenseiterposition von Pro Köln abzuarbeiten ist denkbar billig, solange man sie bloß an den übernommenen Maßstäben der Mitte blamiert. Der zeitgemäße Konservative weiß nämlich längst, dass der Islam überall anzugreifen ist und wünscht sich eine eingedeutschte Version der Bush-Doktrin, damit deutsche Soldaten in aller Welt mitzivilisieren, d.h. mitmorden dürfen. Dass der Antifa-Text sich dem üblichen postantideutschen Bekenntnis zum »Westen« enthält, weist bloß darauf hin, dass der Antifa eine Auseinandersetzung mit der »prowestlichen«, universalistischen »Islamkritik« abgeht. Diese hat in Köln wieder einmal den Schulterschluss mit der Nouvelle Droite demonstriert:



Die FPÖ schreibt unter dieses Bild:

Keiner [sic] Rechtsextremisten, keine Neonazis, keine Skinheads – anständige rechtschaffene Bürger versammeln sich um die Politiker und geben Zeugnis von ihrer lupenreinen, demokratischen Gesinnung!

Damit haben sie völlig Recht. Lupenreine Demokraten, die den alten Rassismus der Neuen Rechten längst hinter sich gelassen haben, ohne auch nur einen Deut harmloser zu werden. Dass sich eigentlich alle Akteure außer den islamischen Tugendterroristen selbst positiv auf Menschenrechte und Pipapo beziehen, kann die Antifa nur als »Deckmantel« abtun. Dabei ist es kein Problem, im rassistischen Outfit auch mal pro-Amerika zu sein.

Die Antifa versucht sich durch eine materialistisch-ökonomische Kritik, die den Rassismus wie den Islamismus auf den Kapitalismus zurückführt, von der »reaktionären Verteidigung (...) ›der westlichen Welt‹« zu distanzieren. Man will die »bürgerlichen Errungenschaften« – eine unverdächtige Chiffre für die »westlichen Werte«, wie es die Neocons nennen würden – gegen »Rechtspopulisten« und Islamisten verteidigen. Dabei treten Widersprüche auf, wenn man den Rassismus als notwendige Ingredienz der bürgerlichen Gesellschaft ausmacht. Diese Widersprüche will die Antifa, äußerst findig, durch »Mitdenken« der radikalen Kritik auflösen:

Bei der Verteidigung der Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft muss gleichzeitig immer die Kritik an derselben mitgedacht sein, sofern wir nicht zu bloßen Verfassungsschützern oder »Freunden der offenen Gesellschaft« verkommen wollen.

Köstlich. »Mitdenken«, wie haben wir uns das vorzustellen? Eigentlich handelt man wie Verfassungsschützer und »Freunde der offenen Gesellschaft«. Aber man hat sich dabei etwas anderes gedacht, nämlich die kommunistische Kritik? Oder: Man weiß im Gegensatz zu den Verfassungsschützern, dass man sich dabei in einem Dilemma befindet. Aber halt, von wegen:

Letztlich löst sich aber auch dieser vermeintliche Widerspruch auf. Kommunistische Kritik strebt die Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft schließlich in der dreifachen Bedeutung des Begriffs der Aufhebung an: »aufheben« im Sinne von »abschaffen«, »aufheben« aber eben auch in der Bedeutung von »bewahren ihrer Errungenschaften« und – last but not least – »aufheben« als »auf eine höhere Stufe – den Kommunismus – heben«.

Aha! Mit ein bisschen assoziativer Kraft und Sinnieren darüber, was alles das Wort »aufheben« bedeuten könnte, lässt sich das Dilemma lösen, indem man es als scheinbares entlarvt. Potzblitz, das ist mal Dialektik, auf der man sich ausruhen kann. So kann eigentlich jeder, Kommunist, Verfassungsschützer oder Pro-Kölner, den Kapitalismus aufheben wollen. Man kann sich im Zweifelsfall herausreden, man habe damit etwas ganz anderes, vielschichtiges, »dialektisches« gemeint. Oder was will die Antifa damit ausdrücken?

Kann mal jemand das Kapitalverhältnis aufheben? Es hat lange genug herumgelegen und fängt an übelst zu stinken.

P.S.: Aufruf der Gruppe Gegenstrom / Redical M:

In Köln treffen sich genau diejenigen, die diese repressive Flüchtlingspolitik und autoritäre Formierung der Gesellschaft vorantreiben wollen oder es bereits tun.

Genau, und dazu gehört auch die bürgerliche Querfront. Die ist um den »sozialen Frieden« bemüht, gibt sich antirassistisch und verbucht den verhinderten Kongress als ihren Erfolg. Köln ist »zusammengerückt«, »ein Sieg der Stadt Köln« (Schramma). Wer hätte nicht vorhersehen können, dass am Ende wieder Deutschland siegt. Dagegen wäre zu halten: Game Over Köln, Problem Köln zerstören!

04.10.2008