Erkämpt das Menschenrecht

man könnte soviel über diesen text sagen, oder ihn damit abtun, dass er es nicht lohnt, sich mit auseinanderzusetzen. man könnte seine argumentationsweise analysieren, gegenargumente bringen, pipapo. ich will weder das eine noch das andere an dieser stelle tun, sondern (einmal wieder) den diskursiven rahmen in zweifel ziehen.

erst einmal wäre die fragestellung der jungleworldschen »disko« anzusehen. diese nämlich zeichnet den fragesteller als einen (achtung, tiervergleich) natürlichen fressfeind kritischer gesellschaftstheorie aus. warum das? ich kann mich nicht erinnern, dass sich die jungle world dem thema mensch-tier-verhältnis in letzter zeit theoretisch gewidmet hätte. stattdessen ging es sehr viel um tierschützer (id est: ökofaschisten, antisemiten oder schlicht nazistische mörder) und tierbefreier (id est: terroristen, jihadisten). das bescherte der jungle world in den letzten ausgaben dummerweise zuschriften von aufgebrachten leserInnen (1, 2, 3, 4).

da bedeutet man diesem reaktionären pack mehrmals, dass es mit seiner »ideologie« in der jungle world nicht landen wird, sondern weiterhin gegen sie vom leder gezogen wird - und trotzdem es gibt nicht ruhe, sondern schreibt weiterhin protestbriefe! da muss, da war sich die redaktion wohl einig, endlich wieder ruhe im karton einkehren. es brannte ivo bozic unter den nägeln, die kommandoerklärung zu formulieren. in einer linken zeitung geht das so: nach andauernden sticheleien verkauft man den todesstoß, »pluralistisch«, wie man nun einmal ist, als »disko«. fremde autoren dürfen sich dann rechtfertigen. man gibt freundlicherweise gewissen leuten die gelegenheit, ihren fraglichen standpunkt zu verteidigen, und stellt dazu großzügigerweise airplay zur verfügung.

bei dieser herablassung würde eigentlich kein vernünftiger mensch mitmachen wollen. derjenige tierrechtler oder antispeziesist, der diesen rahmen und damit (achtung, tiervergleich) die vorgegebene rolle des tanzbären annimmt, hat schon von vornherein verschissen. egal was er auch schriebe: zwei ausgaben später hetzen die bozics, bierls und akraps weiter, mit neuem schwung und neuer rechtfertigung, denn: wir haben es ja diskutiert.

den vorschlag, »die gegnerische Position dort anzugreifen, wo sie am stärksten ist«, wollte die redaktion beherzigen und den vorwurf »Aber wahrscheinlich ist das für euch nicht einmal eine Position« nicht auf sich sitzen lassen. nun, derjenige, der sich auf die suche nach der stärksten seite gemacht hat, ist - »obwohl [er] [sich] durch unzählige Internetseiten gequält, Bücher gelesen und mit vielen Veganern und Veganer-Verstehern diskutiert [hat]« - nicht fündig geworden. deshalb lautet sein fazit letztlich doch: eine position ist es nicht.

bereits dieser hintergrund und anlass zur »disko« zeigt schon, wie wenig man an einer kritischen theorie interessiert ist. schauen wir uns also bozics »disko«-vorlage an: sie hat nichts anderes vor, als einer gewissen »bewegung« entgegenzutreten und eine gewisse diskurshoheit zu festigen. oder, einfacher ausgedrückt, er will veganern zum wiederholten, aber jetzt endgültigen male eins auf den deckel geben und zeigen, wer herr im hause ist. man sieht politische veganer und schlägt diese zurück, das ist alles. ohne sie gäbe es überhaupt nichts zu problematisieren. (mit der alibi-forderung nach »tierschutz« aus nützlichkeit, weniger fleisch des klimas wegen und dergleichen reiht man sich nahtlos in den mainstream-diskurs ein. gleichzeitig huldigt man anti-ökos wie maxeiner und miersch, deren texte die jungle world ohnehin gerne abdruckt.) die eigenen voraussetzungen (»menschenrechte«) werden weder herausgearbeitet noch hinterfragt.

angesichts dieser bewegungs- und gegenbewegungskäbbelei wäre etwas ganz anderes zu tun: nämlich zu aller erst das verhältnis von »mensch«, »natur« und »tier« zu reflektieren. das kommt bozic freilich nicht in den sinn. dahingehend hat die jungle world schlicht einen blinden fleck - die stoßrichtung der ausnahmen habe ich oben beschrieben. das letzte mal, als diese frage nach dem mensch-tier-verhältnis aufgeworfen wurde, war offenbar im april 2007 zur hochzeit der knut-debatte: Puh, der Bär. Zoos, Teddys und die Begeisterung für Knut, Bao Bao, Knautschke und Co. zeugen vom Ausschluss der Tiere aus dem Alltagsleben.

was auch immer man von cord riechelmanns text halten will: seine ganz andere herangehensweise, sein erkenntnisinteresse bewegt sich nicht auf dem pfad der jüngsten jungle-world-artikel. deswegen nenne ihn hier, nicht weil er unglaublich viel hergibt oder das ideale gegenbild wäre. er fragt einfach nur nach dem »Verhältnis des modernen Menschen zum Tier« und arbeitet die »Trennung von Mensch und Tier« und deren phänomene heraus. an anderer stelle, in einem taz-artikel, der sich inhaltlich mit dem besagten jungle-world-artikel stark überschneidet, formuliert riechelmann die aufgabe:

Es geht darum, den Weg aufzuzeigen, in dem Menschen und Tiere getrennt werden, um dann heute in einer Situation zu landen, in der 90.000 Leute über Ostern ihr Mitgefühl mit einem Bärenbaby bekunden und dieselben Leute gleichzeitig die Planung, die Errichtung und den Betrieb einer Schweinemastanlage in Brandenburg für 180.000 Tiere für normal halten und ohne moralische Bedenken hinnehmen.

dieses »aufzeigen des weges« ist zunächst eine historische darlegung ohne moralischen, tierschützerischen oder tierrechtelnden impetus. es ist jedoch, zumindest dem ansatz nach, der impetus einer materialistischen gesellschaftstheorie. riechelmanns überschrift »lass uns über produktion reden« wäre somit allen hinter die ohren geschrieben, die sich zum thema äußern wollen.

übrigens kommt riechelmann, das nur als einschnitt, in beiden texten zu ähnlichen gedanken wie die adornos und horkheimers, die sich eine erkenntnismöglichkeit des tieres und damit eine umwälzung des mensch-tier-verhältnisses über die einsicht in die tierähnlichkeit vorstellen:

Es wäre tatsächlich ein moralischer Fortschritt, würden Menschen die Hilflosigkeit anderer Lebewesen als einen Zustand der Abhängigkeit von anderen anerkennen, wie ihn jeder Mensch zu Beginn seines Lebens auch durchlaufen muss. Aber genau diese Einsicht drückt sich in der Zuwendung zu Knut nicht aus.

ebenso problematisiert richelmann das »benennen« und »identifizieren« als bloßen ausdruck eines herrschaftsverhältnis, das sich notwendig »nicht an dem orientiert, was [Tiere] so tun, denken und wünschen«.

der biologe riechelmann weiß zumindest eins: das tierschützerische mitleid ist nichts als der ausdruck des ausschlusses der tiere. er plädiert dafür, die tiere in ruhe zu lassen und zu studieren. auch wenn riechelmann gewisse herrschaftsverhältnisse anprangert, so scheint er daraus nicht ausdrücklich abzuleiten, dass die abstrakte mensch-tier-abspaltung, die tier»produktion« und die warenform an sich überwunden werden müssen. die von ihm festgestellte trennung ist ohnehin primär eine räumliche und organisatorische, die durch die kapitalistische entwicklung bedingt ist. die kapitalistische naturbeherrschung stellt für riechelmann eine emanzipation von der »ersten natur« dar - klar, es wird erstmals nahrung im überfluss produziert. einen ausweg, der über diese gescholtene »Industrieproduktion« hinaus zeigt, zeigt riechelmann nicht auf, soweit ich das sehe.

deshalb ist riechelmanns ansatz sicher nicht hinreichend und lässt fragen offen. als biologe kritisiert er das »idealistische[] Natur- und Tierbild« zugunsten einer wissenschaftlich-nüchternen erkenntnis des tieres als tier. das ist dummerweise weder voraussetzungslos noch herrschafts- und ideologiefrei. das tier positivistisch studieren will z.b. auch die tierindustrie, schließlich sollen tierzucht und -verwertung noch reibungsloser und effektiver verlaufen. leitend ist da bloß das wertgesetz. das fleisch soll saftiger werden, »ein stück lebenskraft«, und der »verbraucher« kauft gerne den gewissensbonus, eier von »glücklichen« hühnern zu essen. ein »realistisches«, »wissenschaftliches« tierbild bringt vorstellungen wie die »artgerechte haltung« erst hervor und ficht vor allem weder die abstrakte abspaltung, noch die darauf aufbauenden ökonomischen zustände, also auch nicht daraus entstehenden kritisierten phänomene. hier sollte offensichtlich sein, dass eine auflösung unter den bedingungen der wertvergesellschaftung unmöglich ist.

in einem leserbrief zu einem anderen artikel findet sich der vorwurf:

Riechelmann erkennt immerhin richtig, dass Ethik dem asymmetrischen Mensch-Natur-Verhältnis immer nachgeschaltet und deswegen falsch ist. Was er nicht erkennt, weil er es blind voraussetzt, ist die Legitimität der naturwissenschaftlichen Methode. Die ist aber, dialektisch genug, sowohl Geburtshelferin als auch Kind kapitalistischer Vergesellschaftung, ja, Erkenntnistheorie. Die Wissenschaft ist nur von links sanktionierte Spiegelung des Warenfetischs.

auch wenn ich das am kritisierten artikel weniger nachvollziehen kann, die oben genannten artikel trifft der vorwurf und kennzeichnet, dass riechelmann zwar die widersprüche bis zu einem gewissen punkt herausgearbeitet hat, aber nicht darüber hinaus gekommen ist - zumindest liest man nichts darüber.

wie auch immer, es liegt mir fern, hier richelmann einen fairen prozess machen zu wollen, schließlich geht es mir weder um seine person noch um die frage, welche position er vertritt. seine artikel halte ich lediglich für beispiele für eine debatte, die sich im gegensatz zur jungle-»disko« eher lohnen würde. er unternimmt zumindest ernsthafte versuche zur untersuchung des mensch-tier-verhältnisses. hingegen will bozics jüngster beitrag nicht »über produktion reden«, will nicht über tiere und deren warenförmige konstitution reden. er leugnet geradezu eine gesellschaftlich-moralische rechtfertigung der abstrakten abspaltung von »mensch« und »tier«: einen mensch-tier-dualismus gebe es überhaupt nicht.

dabei werden ihm hinz und kunz antworten können, warum sie »fleisch essen«. natürlich wird dabei nicht (im sinne von bozic) »seriös« biologisch, sondern eben ideologisch argumentiert. die wohl am häufigsten zu erwartende antwort »es schmeckt« ist, um eine formulierung bozics aufzunehmen, »das offensichtlichste Argument« für die wirkmächtigkeit des geleugneten mensch-tier-dualismus, der auf einer anderen ebene als die biologie arbeitet. idealistische, moralische diskurse werden also schlichtweg geleugnet. dazu seien nur die ersten sätze aus dem hier schon behandelten »tier und mensch« von adorno/horkheimer zitiert:

Die Idee des Menschen in der europäischen Geschichte drückt sich in der Unterscheidung vom Tier aus. Mit seiner Unvernunft beweisen sie die Menschenwürde. Mit solcher Beharrlichkeit und Einstimmigkeit ist der Gegensatz von allen Vorvorderen des bürgerlichen Denkens, den alten Juden, Stoikern und Kirchenvätern, dann durchs Mittelalter und die Neuzeit hergebetet worden, daß er wie wenige Ideen zum Grundbestand der westlichen Anthropologie gehört. Auch heute ist er anerkannt.

die autoren reden hier nicht nur von »einigen« voraufklärerischen »religionen« wie bozic, sondern von der philosophischen begründung der herrschenden bürgerlichen subjektivität u.a. bei kant. daraus ergeben sich dann die bürgerlichen »menschenrechte«, deren verteidigung das ziel bozics artikel ist. bozic leugnet eine vernünftige begründbarkeit der menschenrechte - die nichts anderes explizieren als die von ihm besagte »Mensch-Tier-Rechtsgrenze« -, findet sie aber nützlich und unverzichtbar.

dieser rhetorische kniff der affirmation ohne affirmation verdeckt nur, dass über »menschenrechte« und deren provenienz - die bürgerlich-kapitalistische ordnung - schon gar nicht mehr diskutiert wird. wer dies tue, mit dieser behauptung verknappt bozic den diskurs, laufe angeblich zwangsläufig gefahr, menschen zu erniedrigen, zu knechten und zu verachten. so bleibt bozics argument, dass er auf die entstehenden fragen, die sich aus einer emanzipatorischen kritik der »idee des menschen« ergäben, keine antworten kennt. gut, die kenne ich ebensowenig, weil die rechte zeit noch nicht gekommen ist und (achtung, tiervergleich) das ei noch ungelegt ist.

diese argumentationsfigur - das bestehende reale muss gegen das hypothetisch schlechtere verteidigt werden - ist so bestechend, wie sie dumm ist: auch kein vernünftiger kommunist wird ihm positiv darlegen können, wie die nichtkapitalistische produktion en detail organisiert sein wird und wie die sicherung der unversehrtheit eines jeden jenseits von rechtsform und staatlichem gewaltmonopol aussieht. wer deshalb kommunistische kritik verwirft, ist tatsächlich bloß ein konservativist. wenn dann noch tierrechtler antworten: »Ich kenne NICHT EINEN Tierrechtler, der die Deklaration der Menschenrechte in Frage stellt«, dann haben sich einfach zwei gefunden.

18.09.2008