Natti und Kulti
ein kleiner nachvollzug und weiterdenken des artikels Primaten im Jungle der Ökonomie.
evolution sei kein positiv zu bewertender fortschritt, sondern bloß sachlich eine fortwährende spezialisierung und anpassung an die umweltbedingungen. riechelmann zitiert diesen darwinismus in der lankaster-lesart, um »artenvielfalt« als moralischen wert in frage zu stellen. nicht nur sei der begriff der »art« prinzipiell in zweifel zu ziehen, da es sich dabei um eine rein nominalistische, eben kulturelle konstruktion handele (ach was). der mensch könne, so riechelmann, demnach gar keinen adäquaten begriff der vielfalt entwickeln, es gäbe keine erkenntnismöglichkeit der »mannigfaltigkeiten«. artensterben sei daher nicht quantifizierbar. der schutz der arten bleibe daher notwendig »abstrakt«. daran schließt riechelmann die behauptung an, die artenvielfalt lasse sich überhaupt nicht positiv beeinflussen.
riechelmann kritisiert »das Missverständnis, dass sich die Artenvielfalt mit den Kräften, die das menschliche Zusammenleben regeln, erhalten, steuern oder sonstwie positiv beeinflussen, also planbar machen lasse«. was auch immer diese »kräfte, die das menschliche zusammenleben regeln«, sein sollen. inwiefern eine übertragung vom mechanismen der menschlicher gesellschaft auf die tierwelt geschieht, führt riechelmann nicht aus.
ferner:
»Marx glaubte nämlich nicht an den Erhalt der Natur mit den Mitteln der Kultur und hat es im zweiten Band des ›Kapital‹ am Beispiel der Wälder auch geschrieben. ›Die Entwicklung der Kultur und Industrie überhaupt hat sich von jeher so tätig in der Zerstörung der Waldungen gezeigt, dass dagegen alles, was sie umgekehrt zu deren Erhaltung und Produktion getan hat, eine vollständig verschwindende Größe ist.‹«
der ausdruck »der erhalt der natur mit den mitteln der kultur« ist entweder eine tautologie, wenn angenommen wird, dass der mensch die natur zwangsläufig nur mit seinen mitteln, das sind eben die mittel der kultur, erhalten kann. dann wäre der zusatz »mit den mitteln der kultur« überflüssig. anderweitig müsste es noch andere mittel geben, nämlich logischerweise die der natur. darauf will riechelmann auch hinaus: der erhalt der »natur« durch separierung von der »kultur«.
marx wiederum redet offenbar vom historischen zustand des kapitalismus, in dem »umweltschutz« notwendigerweise in keinem verhältnis steht zur umweltzerstörung. nun sind diese beiden form des bezugs auf die materielle grundlage einfach ein spezifikum des kapitalismus. riechelmann führt weitere beispiele für die ineffizienz des naturschutzes an. okay - soll damit der naturschutz diskreditiert werden? soll ihm vorgeworfen werden, dass er im kapitalismus nur ein feigenblatt sein kann? daraus, dass der erhalt der tropenwälder unter den gegenwärtigen umständen nicht effektiv ist, lässt sich kein argument ableiten. höchstens die banale beobachtung, dass der kapitalismus fortwährend seine natürliche existenzgrundlage zerstört - und dass ein bisschen übergestülpte öko-moral samt biertrinken für den regenwald und »rettet-unsere-erde«-kampagne der bildzeitung daran nichts ändert, sondern das naturverhältnis verschleiert und fortschreibt.
während riechelmann vorher den artenschützern abstraktheit vorgeworfen hat, so geht er ein paar absätze später selbst ins detail und zitiert ein beispiel: 300 affenarten seien vom aussterben bedroht, vermelden primatologen. so kommt er zu seiner kernaussage: diese 300 affenarten seien vom darwinistischen standpunkt aus keine schützenswerte »leistung« der evolution an, die dem menschen irgendwie ehrfurcht einjagen sollte, sondern sie sind bloß nüchtern das resultat der anpassung an die speziellen umstände des regenwaldes. will sagen, riechelmann lehnt die zuschreibung von wert ab, denn ein »eigenwert« existiere nicht und, so seine weitere begründung, einen wert für die menschen haben diese arten ebensowenig.
so argumentiert riechelmann nicht nur selbstverständlich anthropozentrisch, wenn er mit der nützlichkeit dieser affen für den menschen argumentiert. er argumentiert zudem auch auf einer linie mit den ökonomen, die er kurz vorher kritisiert hat. diese schreiben der natur nämlich einen (letztlich monetären tausch-)wert zu, der sich bei deren zerstörung in »versteckten kosten« niederschlägt. eine ähnliche wertrechnung macht riechelmann auf, wenn er fragt: was nützen uns diese 300 affenarten, was haben sie je für uns getan? (was ist ihr tauschwert bzw. ihre fähigkeit, solche zu schaffen?) und die antwort gleich mitliefert: nichts. ergo sind sie nichts wert, disponibel.
riechelmann und die kritisierten ökonomen sukhdev/stern nehmen beide die gleiche wert-zuschreibung aufgrund desselben kriteriums vor. sie vertreten in diesem rahmen lediglich gegensätzliche positionen. sukhdev/stern behaupten, die natur sei uns nützlich, also besitzt sie für uns wert. die konsequenz für sie ist, die natur in ihre betriebswirtschaftliche rechnung aufzunehmen: die natur ist ein knappes gut, dass im produktionsprozess »verbraucht« wird. riechelmann entgegnet, die natur - umindest die »artenvielfalt« am beispiel dieser 300 primatenarten - ist uns überhaupt nicht nützlich, also besitzt sie für uns keinen wert.
dass die besagten 300 affenarten durch die zerstörerische kapitalistische ökonomie aussterben, kann uns also gänzlich schnuppe sein. ach, noch besser: dieser logik zufolge wäre die aussage der primatologen schon anzuzweifeln, denn wir können wir nicht wissen, was da kreucht und fleucht. und wenn: wir können es ohnehin nicht positiv beeinflussen.
doch damit schließt riechelmann nicht. von marx will er gelernt haben, dass eine befreite gesellschaft im gegensatz zur kapitalistischen »nur« überlegen muss, wieviel »raum sie dem wald lässt«. den könne man nämlich nur »retten«, indem man ihn separiert und die finger von ihm lässt. zunächst einmal beinhaltet das diesen begrifflich-philosophischen dualismus: natur, das ist definiert als als ausschließlich dieser unberührte, abgetrennte raum als schützenswertes refugium. kultur, das ist definiert als der restliche raum, in dem der mensch schaltet und waltet, wie er es für nötig hält.
in dieser rigorosen abtrennung der natur von der kultur will riechelmann nun etwas anderes sehen als das einrichten von »naturschutzgebieten« im jetzt-zustand. denn »naturschutzgebiete« nähmen der natur ihre eigentümliche qualität und trieben sie in die vernichtung. nun, das mag teilweise stimmen, denn auch das naturschutzgebiet hat sich der verwertungslogik und dem gebot der nützlichkeit zu unterwerfen; und es kann unter diesen verhältnissen nicht adäquat erkannt werden.
aber dass gerade die philosophische und praktische exterritorialisierung und einpferchung der »natur« in begrenzte refugien dieses schema durchbrechen und eine erkenntnis der natur ermöglichen soll, bleibt fragwürdig. sie teilt die erde dichotomisch in kultur-raum und natur-raum, und wenn diese trennung vollzogen ist, sei bloß das verhältnis zwischen beiden auszuloten. das bestimmt logischerweise der mensch: ausgehend von der gegenwärtigen verteilung würde ein großteil des raumes zur »kultur« gezählt wird, also gänzlich den ansprüchen der menschlichen gesellschaft unterworfen (landwirtschaft, bebauungen, transportwege, parks, seen, flüsse und wälder zur naherholung usw.). es sei denn, man betriebe massiven rückbau der zivilisation, um zu einem ausgewogenen verhältnis von kultur-raum und natur-raum zu kommen.
aber moment - haben wir nicht gerade von riechelmann gelernt, dass einmal verschwundene natur nicht mehr durch menschenhand restaurierbar ist? überhaupt, warum sollte man die wälder retten, warum diese refugien einrichten nach der überwindung des kapitalismus? das geht in der nützlichkeitslogik überhaupt nicht auf.
es scheint absurd, dass natur gerade dadurch in ihrer qualität erkannt werden soll, dass sie dem menschlichen wirkungskreis als äußerlich definiert wird. der hase auf dem feld, der fuchs im forst, die vögel in den hecken, die fische im stausee - diese ökosysteme, die sich gerade nicht in erzwungener trennung zwischen »zivilisation« und »natur« entwickelt haben, können durch eine solche konzeption prinzipiell nicht erfasst werden. der »naturschutz« unter den gegenwärtigen zuständen »kulturalisiert« diese flora und fauna sicherlich, scheint aber immer noch derjenigen konzeption voraus, die eine erkenntnismöglichkeit und schutzwürdigkeit nur für eine herausdefinierte und eingezäunte »natur« behauptet.
evolution sei kein positiv zu bewertender fortschritt, sondern bloß sachlich eine fortwährende spezialisierung und anpassung an die umweltbedingungen. riechelmann zitiert diesen darwinismus in der lankaster-lesart, um »artenvielfalt« als moralischen wert in frage zu stellen. nicht nur sei der begriff der »art« prinzipiell in zweifel zu ziehen, da es sich dabei um eine rein nominalistische, eben kulturelle konstruktion handele (ach was). der mensch könne, so riechelmann, demnach gar keinen adäquaten begriff der vielfalt entwickeln, es gäbe keine erkenntnismöglichkeit der »mannigfaltigkeiten«. artensterben sei daher nicht quantifizierbar. der schutz der arten bleibe daher notwendig »abstrakt«. daran schließt riechelmann die behauptung an, die artenvielfalt lasse sich überhaupt nicht positiv beeinflussen.
riechelmann kritisiert »das Missverständnis, dass sich die Artenvielfalt mit den Kräften, die das menschliche Zusammenleben regeln, erhalten, steuern oder sonstwie positiv beeinflussen, also planbar machen lasse«. was auch immer diese »kräfte, die das menschliche zusammenleben regeln«, sein sollen. inwiefern eine übertragung vom mechanismen der menschlicher gesellschaft auf die tierwelt geschieht, führt riechelmann nicht aus.
ferner:
»Marx glaubte nämlich nicht an den Erhalt der Natur mit den Mitteln der Kultur und hat es im zweiten Band des ›Kapital‹ am Beispiel der Wälder auch geschrieben. ›Die Entwicklung der Kultur und Industrie überhaupt hat sich von jeher so tätig in der Zerstörung der Waldungen gezeigt, dass dagegen alles, was sie umgekehrt zu deren Erhaltung und Produktion getan hat, eine vollständig verschwindende Größe ist.‹«
der ausdruck »der erhalt der natur mit den mitteln der kultur« ist entweder eine tautologie, wenn angenommen wird, dass der mensch die natur zwangsläufig nur mit seinen mitteln, das sind eben die mittel der kultur, erhalten kann. dann wäre der zusatz »mit den mitteln der kultur« überflüssig. anderweitig müsste es noch andere mittel geben, nämlich logischerweise die der natur. darauf will riechelmann auch hinaus: der erhalt der »natur« durch separierung von der »kultur«.
marx wiederum redet offenbar vom historischen zustand des kapitalismus, in dem »umweltschutz« notwendigerweise in keinem verhältnis steht zur umweltzerstörung. nun sind diese beiden form des bezugs auf die materielle grundlage einfach ein spezifikum des kapitalismus. riechelmann führt weitere beispiele für die ineffizienz des naturschutzes an. okay - soll damit der naturschutz diskreditiert werden? soll ihm vorgeworfen werden, dass er im kapitalismus nur ein feigenblatt sein kann? daraus, dass der erhalt der tropenwälder unter den gegenwärtigen umständen nicht effektiv ist, lässt sich kein argument ableiten. höchstens die banale beobachtung, dass der kapitalismus fortwährend seine natürliche existenzgrundlage zerstört - und dass ein bisschen übergestülpte öko-moral samt biertrinken für den regenwald und »rettet-unsere-erde«-kampagne der bildzeitung daran nichts ändert, sondern das naturverhältnis verschleiert und fortschreibt.
während riechelmann vorher den artenschützern abstraktheit vorgeworfen hat, so geht er ein paar absätze später selbst ins detail und zitiert ein beispiel: 300 affenarten seien vom aussterben bedroht, vermelden primatologen. so kommt er zu seiner kernaussage: diese 300 affenarten seien vom darwinistischen standpunkt aus keine schützenswerte »leistung« der evolution an, die dem menschen irgendwie ehrfurcht einjagen sollte, sondern sie sind bloß nüchtern das resultat der anpassung an die speziellen umstände des regenwaldes. will sagen, riechelmann lehnt die zuschreibung von wert ab, denn ein »eigenwert« existiere nicht und, so seine weitere begründung, einen wert für die menschen haben diese arten ebensowenig.
so argumentiert riechelmann nicht nur selbstverständlich anthropozentrisch, wenn er mit der nützlichkeit dieser affen für den menschen argumentiert. er argumentiert zudem auch auf einer linie mit den ökonomen, die er kurz vorher kritisiert hat. diese schreiben der natur nämlich einen (letztlich monetären tausch-)wert zu, der sich bei deren zerstörung in »versteckten kosten« niederschlägt. eine ähnliche wertrechnung macht riechelmann auf, wenn er fragt: was nützen uns diese 300 affenarten, was haben sie je für uns getan? (was ist ihr tauschwert bzw. ihre fähigkeit, solche zu schaffen?) und die antwort gleich mitliefert: nichts. ergo sind sie nichts wert, disponibel.
riechelmann und die kritisierten ökonomen sukhdev/stern nehmen beide die gleiche wert-zuschreibung aufgrund desselben kriteriums vor. sie vertreten in diesem rahmen lediglich gegensätzliche positionen. sukhdev/stern behaupten, die natur sei uns nützlich, also besitzt sie für uns wert. die konsequenz für sie ist, die natur in ihre betriebswirtschaftliche rechnung aufzunehmen: die natur ist ein knappes gut, dass im produktionsprozess »verbraucht« wird. riechelmann entgegnet, die natur - umindest die »artenvielfalt« am beispiel dieser 300 primatenarten - ist uns überhaupt nicht nützlich, also besitzt sie für uns keinen wert.
dass die besagten 300 affenarten durch die zerstörerische kapitalistische ökonomie aussterben, kann uns also gänzlich schnuppe sein. ach, noch besser: dieser logik zufolge wäre die aussage der primatologen schon anzuzweifeln, denn wir können wir nicht wissen, was da kreucht und fleucht. und wenn: wir können es ohnehin nicht positiv beeinflussen.
doch damit schließt riechelmann nicht. von marx will er gelernt haben, dass eine befreite gesellschaft im gegensatz zur kapitalistischen »nur« überlegen muss, wieviel »raum sie dem wald lässt«. den könne man nämlich nur »retten«, indem man ihn separiert und die finger von ihm lässt. zunächst einmal beinhaltet das diesen begrifflich-philosophischen dualismus: natur, das ist definiert als als ausschließlich dieser unberührte, abgetrennte raum als schützenswertes refugium. kultur, das ist definiert als der restliche raum, in dem der mensch schaltet und waltet, wie er es für nötig hält.
in dieser rigorosen abtrennung der natur von der kultur will riechelmann nun etwas anderes sehen als das einrichten von »naturschutzgebieten« im jetzt-zustand. denn »naturschutzgebiete« nähmen der natur ihre eigentümliche qualität und trieben sie in die vernichtung. nun, das mag teilweise stimmen, denn auch das naturschutzgebiet hat sich der verwertungslogik und dem gebot der nützlichkeit zu unterwerfen; und es kann unter diesen verhältnissen nicht adäquat erkannt werden.
aber dass gerade die philosophische und praktische exterritorialisierung und einpferchung der »natur« in begrenzte refugien dieses schema durchbrechen und eine erkenntnis der natur ermöglichen soll, bleibt fragwürdig. sie teilt die erde dichotomisch in kultur-raum und natur-raum, und wenn diese trennung vollzogen ist, sei bloß das verhältnis zwischen beiden auszuloten. das bestimmt logischerweise der mensch: ausgehend von der gegenwärtigen verteilung würde ein großteil des raumes zur »kultur« gezählt wird, also gänzlich den ansprüchen der menschlichen gesellschaft unterworfen (landwirtschaft, bebauungen, transportwege, parks, seen, flüsse und wälder zur naherholung usw.). es sei denn, man betriebe massiven rückbau der zivilisation, um zu einem ausgewogenen verhältnis von kultur-raum und natur-raum zu kommen.
aber moment - haben wir nicht gerade von riechelmann gelernt, dass einmal verschwundene natur nicht mehr durch menschenhand restaurierbar ist? überhaupt, warum sollte man die wälder retten, warum diese refugien einrichten nach der überwindung des kapitalismus? das geht in der nützlichkeitslogik überhaupt nicht auf.
es scheint absurd, dass natur gerade dadurch in ihrer qualität erkannt werden soll, dass sie dem menschlichen wirkungskreis als äußerlich definiert wird. der hase auf dem feld, der fuchs im forst, die vögel in den hecken, die fische im stausee - diese ökosysteme, die sich gerade nicht in erzwungener trennung zwischen »zivilisation« und »natur« entwickelt haben, können durch eine solche konzeption prinzipiell nicht erfasst werden. der »naturschutz« unter den gegenwärtigen zuständen »kulturalisiert« diese flora und fauna sicherlich, scheint aber immer noch derjenigen konzeption voraus, die eine erkenntnismöglichkeit und schutzwürdigkeit nur für eine herausdefinierte und eingezäunte »natur« behauptet.
23.08.2008