»Der herrschenden Praxis ... ist nicht die Natur gefährlich, mit der sie vielmehr zusammenfällt, sondern daß Natur erinnert wird.«

(Ad: Adorno/Horkheimer: Mensch und Tier. Nr. 1)

Wie angekündigt eine genauere Auseinandersetzung mit dem Text »Ich ess’ Blumen« (Teil 1) von Manfred Beier und Andreas Halberstädter aus der Bonjour Tristesse 1/2007 (PDF).

Die Grundthese ist einfach: Tierliebe heißt immer Menschenhass. Wer Menschen nicht hassen will, muss Tiere hassen, so der unausgesprochene Umkehrschluss, auf den die Autoren hinaus wollen. Das klingt nach simplem dualistischen Denken, das ist es tatsächlich. Diese Dichotomie wird nicht etwa aufgemacht, um sie zu kritisieren oder dialektisch aufzulösen. »Kultur« ist für die Autoren die Sphäre des Geistes, der Freiheit und der Emanzipation, »Natur« die Sphäre von Notwendigkeit, Gewalt und »Barbarei«. Selbstverständlich wähnt man sich auf der Seite der »Kultur« und wehrt sich gegen jene, die die Grenzen einreißen wollen oder die Kategorien in Frage stellen. Dies sei immer antiemanzipativ. Wie yetzt auch schreibt:

Emanzipation [bedinge] Herrschaft, sogar sei, weil dies in der Aufklärung so angelegt sei, daher sei Herrschaft über Tiere emanzipatorisch, wenn diese im Prozess der Emanzipation des Menschen weg von seiner Natur reflektiert würde.

Ein anderer Geschichts- und Fortschrittsbegriff, der Gesellschaft weiter analysiert denn als Freiheitsmaschine und Naturüberwinder, bleibt undenkbar. »Humanismus« bedeutet für Beier und Halberstädter, dass sich der Mensch herrschaftlich und gewalttätig von der Natur und speziell dem Tier abgrenzen muss, um den Naturzwang zu brechen. Das ist ihre platte Konsequenz aus dem Homo-Mensura-Satz, das bedeutet für die Autoren »Aufklärung«.

Der Mensch-Tier-Dualismus, dieses Herrschaftsverhältnis, diese Ontologie, wird einfach als gegeben und legitim vorausgesetzt. Eine gesellschaftliche Konstruktion von »Mensch« und »Tier« wird nicht bedacht. Die entscheidende Frage wird nicht diskutiert, sondern als beantwortet vorausgesetzt. Dieses Vorurteil dient dann als Maßstab. Genannt wird diese Methode »Kritik«. Heraus kommt, was herauskommen muss: Alle, die überhaupt die Frage nach dem Mensch-Tier-Verhältnis stellen, würden hinter die »Aufklärung« zurückfallen, seien antimodern et cetera. In der Tat rütteln diese Fragen am ideologischen Fundament der bürgerlichen Gesellschaft.

Damit ist der Text im Grunde gekennzeichnet. Naturbeherrschung wird eindimensional abgefeiert, die Frage der Herrschaft bleibt außen vor.

Ausgehend von der These, dass jegliche »Tierfreunde« ausschließlich Menschenhasser sind, werden Belege gesucht und gefunden. So geht das identitäre Feindbild-Konstrukt der »Tierfreunde« zirkulär auf. Ein Topf, in den alle kritikwürdigen Positionen geworfen werden, um verallgemeinert werden.

Die Idee des Menschen drückt sich, wie Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung erklären, in der europäischen Geschichte in der Unterscheidung vom Tier aus

Es passt immer gut, die Dialektik der Aufklärung zu zitieren, ohne von selbiger Dialektik zu reden.
Dass Adorno und Horkheimer diese Unterscheidung vom Tier und damit diese »Idee des Menschen« erst einmal beschreiben und ferner kritisieren, wird ausgeblendet.

Die Natur, so führt Johannes Agnoli diesen Gedanken fort, ist »nicht in Ansehung der Natur zu schützen«

Diese Grundannahme übernehmen die Autoren als Leitmotiv, eine Abweichung oder Infragestellung findet sich nicht. Viel folgenreicher ist jedoch die rigide und eindimensionale Lesart dieses Satzes. Agnoli konstatiert im Zitat erst einmal nur, dass niemand außer dem Menschen selbst ein Bewusstsein über sein Verhältnis zur Natur erlangen kann. Dieses charakterisiert Agnoli als gewalttätig und zerstörerisch, letztlich auch sich selbst als Naturwesen gegenüber. Die restliche Natur habe keine Stimme, die den Mensch als Anderes gegenübertreten könnte. Doch Agnolis Aussage sagt wenig: Freilich begehren Löwen und Wale nicht auf, anderseits lässt sich schwer herleiten, warum die Wale nicht ausgerottet werden sollten, wenn Agnoli bloß die zweckrationale Nützlichkeit der Natur als Lebensgrundlage für die Menschheit zum Maß erheben würde.

Der Veganismus, d.h. der bewusste Verzicht auf alle Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände tierischen Ursprungs, stellt die Avantgarde der heutigen Umweltschutz- und Tierrechtsbewegung dar.

Umweltschutz, Veganismus und Tierrechte sind erst einmal drei disparate Gegenstände, von denen keiner die »Avantgarde« eines anderen ist.

Damit wird der kategorische Imperativ von Marx in sein Gegenteil verkehrt; nicht mehr die Menschen gilt es aus dem harten Griff der Verhältnisse zu befreien, sondern die Tiere aus den Käfigen

Das nicht weiter definierte Eintreten die Befreiung der Tiere sagt erst einmal gar nichts darüber aus, ob und wie die Befreiung der Menschen gedacht wird, ob beide zusammenhängen und wenn ja, wie. Insofern negiert die Befreiung der Tiere keinesfalls den Marxschen Kategorischen Imperativ, noch liegt ein notwendiger Widerspruch vor.

gar die Natur von der menschlichen Zivilisation

Hier werden unzählige verschiedene Positionen zusammengeworfen.

Der Mensch, den Marx befreit wissen wollte, ist bei Tierrechtlern also nicht länger Maß aller Dinge, d.h. Mittelpunkt des Strebens nach einer Gesellschaft, die sich durch die Assoziation freier Individuen auszeichnet.

Dies ist bloß eine kühne Unterstellung und Verallgemeinerung. Es ist unklar, von wem geredet wird, wenn von »den Tierrechtlern« die Rede ist.

Es ist zweifellos richtig, dass manche Tierrechtler keinen Begriff von menschlicher Emanzipation haben, schon gar nicht den Marxschen. Genausowenig machen sie sich Gedanken über den Zusammenhang von Befreiung von Mensch und Tier. Denn:

Die Forderung nach Tierrechten ist nicht emanzipatorisch. Sie kann von beliebigen Bewegungen adaptiert werden

(Sebastian Vollnhals: Neonazis suchen den Schulterschluss mit der Tierbefreiungsbewegung. In: Tierbefreiung Ausgabe 53 / Dezember 2007)

Dass die gewalttätige Erhebung des Menschen über das Tier – hier beispielhaft und stellvertretend: das Einsperren in Käfige und alles, was damit zusammenhängt – gar notwendige Bedingung einer Assoziation freier Individuen sein soll, wird nicht geklärt, bloß kühn behauptet.

Die Nivellierung des Unterschieds zwischen Mensch und Tier wird insbesondere in den regelmäßigen Gleichsetzungen von Naziverbrechen mit Massentierhaltung und dem Fleischerhandwerk deutlich.

Alleine zu den ersten paar Wörtern des Satzes:
Die angeblich »natürliche« Differenz wird hier immer nur als das gedacht, als die sie sich geschichtlich-kultürlich konstruiert wurde: Ein Herrschaftsverhältnis, das nun notwendig verkehrt als überhistorisch und anthropologisch konstant scheint. Tierhaltung und Fleischverzehr entsprängen demnach direkt und notwendig aus »dem Unterschied«, das setzt der Satz stillschweigend voraus.

Darüber hinaus ist den Autoren darin zuzustimmen, dass PeTAs Holocaust-Vergleich scharf zu kritisieren ist, es fragt sich selbstverständlich, aus welcher Warte und mit welchem Impetus.

Aus dem PeTA-Beispiel wird nun geschlossen, die »Tierrechtsbewegung« nehme eine nicht weiter definierte »Gleichsetzung von Mensch und Tier« vor, die darauf hinauslaufe, eine Gleichheit industrieller Tiertötung und dem antisemitischen Massenmord zu behaupten.

Die Tierrechtsbewegung beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Gleichsetzung von Mensch und Tier; die Präferenzen liegen vielmehr deutlich auf Seiten der Tiere.

Korrekt, PeTA hat keinen Begriff von menschlicher Emanzipation. Zu Terroranschlägen können sie nichts sagen, außer untertänigst zu bitten, die Tiere außen vor zu lassen.

»Holocaust-Vergleiche« bei Tierschützern und Tierrechtlern sind vielfältig. Die Zitatesammlung von Halberstädter und Beier ebnet diese diese Unterschiede ein. Das Schwarzer-Zitat rekurriert im Gegensatz zu PeTA auf »[äußere] Ähnlichkeiten der modernen Tiervernichtungsanstalten mit KZs« im Stil von Charles Pattersons »Eternal Treblinka«. Auch diese Argumentationsfigur ist nicht frei von Relativierung der Shoah und nicht weniger kritikwürdig, funktioniert jedoch anders als »Holocaust on your plate«.

All diese Kämpfer für die Rechte der Tiere einigt die Zustimmung zur Legitimität des Vergleichs der bestialischen Ermordung von Menschen mit dem tatsächlich bedauerlichen Dasein von Tieren in Legebatterien und Mastanlagen

Würde man einen Vergleich nüchtern vornehmen, würde man auf substantielle Unterschiede stoßen. Das kann es nicht sein, was den Vergleich illegitim macht, sondern, wie Susann Witt-Stahl formuliert:

Es ist die Frage zu klären, wer den Vergleich führt, aus welcher Perspektive, in welcher Funktion, auf welchem Niveau, an welchem Sprechort? Vor allem ist doch zu fragen, ob der Vergleich in emanzipatorischer Absicht geführt wird, ob er das Wesen des Holocaust verhüllt oder entstellt, ob er in einem würde- und pietätvollen Rahmen stattfindet und nicht zuletzt, ob er das Andenken der Opfer des größten Menschheitsverbrechens im Stande ihres Opferseins adäquat bewahrt.

(Susann Witt-Stahl: Das Tier als »der ewige Jude«? Ein Vergleich und seine Kritik als Ideologie. In: Susann Witt-Stahl (Hrsg.): Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen. Beiträge zu einer kritischen Befreiung der Tiere. Aschaffenburg 2007. S. 363)

Wer natürlich einen blinden Humanismus vertritt, wird soweit gar nicht erst kommen. Für den reicht die Ebene, die Kritisierten allesamt als »gewöhnliche Holocaustrelativierer« zu bezeichnen, als würde dies der Aufklärung der Sache genüge tun.

Darauf folgt eine Kritik an einer antispeziestischen Kritik an PeTAs Holocaust-Vergleich, publiziert auf der Website der TierrechtsAktion Nord.

(AG des Hamburger Tierbefreiungstreffens: PETAs Kampagne »Der Holocaust auf Ihrem Teller«. Eine Kritik aus der Tierbefreiungsbewegung. http://tan.pflanzenmoerder.de/texte/peta_kritik.html)

Während ganz nebenbei die »Jüdinnen und Juden« nicht etwa von den Deutschen vernichtet wurden, sondern von einem – scheinbar aus dem Weltall über die Erde hereingebrochenen »Holocaust«

Nirgendwo im kritisierten Text wird geleugnet oder verschwiegen, dass es sich um ein deutsches Verbrechen handelt, im Gegenteil. Dazu ein anderer Text der Tierrechtsaktions Nord zum selben Thema:

Auschwitz liegt nicht am Strand von Malibu und auch nicht auf unseren Tellern. Es war eine deutsche Todesfabrik, die von deutschen Mörderbanden auf polnischem Boden errichtet worden war.

(Susann Witt-Stahl: Auschwitz liegt nicht am Strand von Malibu und auch nicht auf unseren Tellern. Kritische Anmerkungen zum »KZ-Vergleich«. http://tan.pflanzenmoerder.de/texte/petakritik.html)

Weiter im Text:

die Zusammenfassung dieser Kritik am Vergleich [lautet] folgendermaßen: Wenn die Juden zum Zwecke der Profitmaximierung, also nach einem »ökonomischen Prinzip«, und nicht um ihrer selbst Willen ermordet worden wären, dann wäre der Vergleich zwischen Schlachthof und Judenmord für die Autoren legitim

Der Text der AG des Hamburger Tierbefreiungstreffens versucht, mit Verweis auf Postone den Antisemitismus zu bestimmen. Um das Verhältnis von Kapitalismus und Antisemitismus zu charakterisieren, bezeichnet Postone die Vernichtungslager als »Fabrik zur ›Vernichtung des Wertes‹« und damit als »›antikapitalistische‹ Negation« der kapitalistischen, wertproduzierenden Fabrik. Er grenzt sich damit von ökonomistischen und funktionalistischen Theorien des Antisemitismus ab.

(Moishe Postone: Antisemitismus und Nationalsozialismus. http://isf-freiburg.org/verlag/leseproben/postone-deutschland_lp.html)

Diese Analyse benutzt die AG, um einen »wesentlichen« Unterschied zu Schlachthöfen zu konstatieren. Dies ist sicher nicht der einzige, vielleicht nicht der grundlegendste. Jedenfalls wird er angeführt, um gegen den Holocaust-Vergleich zu argumentieren. Das nur zum Nachvollzug der Argumentation.

Beier und Halberstädter entwerfen das Gedankenexperiment einer Judenvernichtung, die innerhalb der »normalen« kapitalistischen Verwertung abläuft und eben nicht den Wert personifiziert. Dies wäre nicht mit Postones Theorie vereinbar. Wenn die spezifische, von Postone analysierte antisemitische Ideologie fehlen würde, müsste vermutlich eine andere Ideologie existieren, die gerade diese Gruppe zur ökonomischen Ausbeutung und Vernichtung aussortiert.

Dieses Gedankenexperiment führt uns nicht weiter, denn die Grundfrage ist eher: Wenn nur ökonomische Gründe bestehen, ist die Tötung eines Menschen genauso legitim wie die Tötung eines Tieres? Da Beier und Halberstädter stilschweigend und selbstverständlich von einer Geringerwertigkeit der nichtmenschlichen Tiere ausgehen, müssen sie dies verneinen. Ihr Kritikpunkt hat also mit Holocaust-Relativierung nichts mehr zu tun. Es geht ihnen vielmehr darum, dass die besagten Tierrechtler diese Hierarchie in Frage stellen und nicht nur mörderische Gewalt gegen Menschen, sondern auch gegen Tiere verurteilen.

Diese Kernfrage wäre nun zu diskutieren, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem AG-Text lassen Beier und Halberstädter jedoch vermissen. Das ist rhetorische Strategie: Sie würden einsehen müssen, dass sie das sogenannte »linksautonome Tierrechtsmilieu« im Hinblick auf ihre Position zum Holocaust-Vergleich nicht mit PeTA, Thomas D. und Alice Schwarzer in einen Topf stecken können.

recht harmloser Kritik innerhalb der veganen Tierrechtsszene wird mit einer teilweise an parteikommunistische Säuberungskampagnen erinnernden Vehemenz begegnet.

Helmut F. Kaplan hat keine »Kritik« geäußert, sondern in Frage gestellt, dass ein Leben ohne den (offensichtlichen) Konsum von Tierprodukten möglich ist. Dass dies nicht der Wahrheit entspricht, beweisen alltäglich unzählige Menschen, die keine Tierprodukte konsumieren. Kritisiert wurde er dafür, dass er sich als Tierrechtler aufspielt, aber in diesem Punkt gemäß seinen eigenen Maßstäben ein »Tierrechtsverletzer« sei.

Möglicherweise wurde Kaplan unsachlich geschmäht – das wäre gegebenenfalls zu kritisieren. Diese Kritik leisten die Autoren leider nicht. Die Schmähungen mit »parteikommunistischen Säuberungskampagnen« gleichzusetzen – bei diesen wurden Millionen Menschen in Internierungslager verschleppt und viele davon starben –, ist hanebüchene Polemik und verharmlost das Archipel Gulag. Kaplan lebt noch und kein Veganer hat ihm – soweit mir bekannt ist – ein Haar gekrümmt.

Der von Tierrechtlern vertretene Antispeziesismus wendet sich, wie schon erwähnt, gegen die Ungleichbehandlung von Lebewesen aufgrund ihrer Spezies oder besser: gegen die Unterscheidung von tierischem und menschlichem Leben, welcher nach Ansicht einer Tierrechtsgruppe aus Leipzig »wissenschaftlich unhaltbare Speziesgrenzen« zugrunde liegen.

Es ist zunächst einmal korrekt, dass die tatsächliche Ungleichbehandlung sich nicht rein biologistisch rechtfertigen lässt. Das bedeutet nicht, dass es keine Unterscheidung zwischen menschlichem und nichtmenschlichem Leben gibt. Bestritten wird, dass diese Unterschiede ontologisiert werden, um ein Herrschaftsverhältnis zu begründen. Dazu:

Tierrechte oder Tierbefreiung auf Basis eines »Sie-sind-wie-wir«-Modells anzustreben, ist u.a. kontraproduktiv. Das Problem ist nicht, dass Unterschiede zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren nicht beachtet werden, sondern dass sie durch Macht definiert werden: als Differenz, als »der Unterschied«. (...) Die Speziesgrenze – also die Grenze zwischen »Mensch und Tier« – kennzeichnet in erster Linie ein Machtverhältnis und keinesfalls eine (biologische) Differenz. (...) Spezies als bloße biologische Kategorie zu benennen, verbirgt die Realität, die ein System von sozialer Hierarchie ist.

(Günter Rogausch: Tierliebe, Tierschutz und Noblesse Oblige als Manifestation des Speziesismus. Ein Plädoyer für Ideologiekritik statt »Tierethik«. In: Susann Witt-Stahl (Hrsg.): Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen. Aschaffenburg 2007. S. 363)

Die Unterscheidung von Lebewesen in Menschen und Tiere erfolgt nach Ansicht der Antispeziesisten nach willkürlichen Kriterien.

Es ist tatsächlich »willkürlich«, das heißt gesellschaftlich bedingt und historisch-kontingent, eine idealistische Konstruktion, »Vorrechte aus der Artzugehörigkeit zu ziehen«.

Notwendige Folge dieses Denkens ist die Forderung nach der Gleichbehandlung von Mensch und Tier.

Die Folge sollte das Ende von Gewalt und Ausbeutung gegenüber »quälbaren Körpern« sein.

Silke Ruthenberg, Vorsitzende von Animal Peace in der Bundesrepublik, äußert ihr regressives Bedürfnis folgendermaßen: »Vorrechte aus der Artzugehörigkeit zu ziehen, [ist] ebenso absurd, wie die moralische Ungleichbehandlung mit der Zugehörigkeit zu einer Rasse oder einem Geschlecht zu rechtfertigen.«

Was daran nun ein »regressives Bedürfnis« sein soll und was am Vergleich des Speziesismus mit Rassismus und Sexismus hinsichtlich seiner Struktur (moralische Ungleichbehandlung aufgrund von gesellschaftlich konstruierten Unterschieden wie »Spezies«, »Rasse« und »Geschlecht«) falsch sein soll, wird nicht erläutert. Möglicherweise ist es falsch, das soll hier nicht bestritten werden – aber wieder einmal wird die Auseinandersetzung mit der spannenden und kontroversen Frage ausgeblendet, bei etwas anderes als bloße Denunziation herauskäme.

Alternativ zur »speziesistischen Darstellung« von Tieren gestaltet die Tierrechtsaktion Nord ihre Plakate gern mit vermummten Streetfightern, die – umringt von Häschen, Vögelchen und Kätzchen – ein Rehkitz mit leuchtend braunen Kulleraugen in ihren Armen halten.

Hier macht man sich eher lustig als substantielle Kritik zu formulieren.

Was die Antispeziesisten übersehen, oder besser: übersehen müssen, ist, dass sich menschliches Leben nicht in der Empfindung von Schmerz und Leid erschöpft, wie als Beweis für die Gleichheit von Mensch und Tier gern immer wieder angeführt wird. Die zweifellos auch beim Tier vorhandenen Fähigkeiten zu Reizbarkeit, Bedürfnisbefriedigung und Kommunikation werden bei Tierrechtlern zum Beweis der Gleichheit.

Was auch immer mit Gleichheit gemeint ist, die Frage wäre eher, ob diese Fähigkeiten kein hinreichender Grund dafür sind, Tiere nicht zu verdinglichen, zu entindividualisieren, auszubeuten, zu töten, zu quälen usw.

Die Elemente menschlichen Lebens, die sich nicht naturwissenschaftlich begründen lassen, sprich: seine Fähigkeit zur Selbstreflektion, zu Bewusstsein und zur Sublimierung, sowie seine Vernunftbegabung, werden zu vernachlässigbaren Größen.

Vernachlässigbar werden sie keinesfalls, aber inwiefern begründen diese die moralische Überlegenheit und die Gewalt gegenüber Tieren?

Ganz offensichtlich ist kein Tier fähig, die »speziesistische Behandlung« durch den Menschen als solche zu erkennen oder gar zu bewerten, schließlich wimmelt es in der Wildnis nur so vor tierischen Feinden, die nichts lieber tun, als die »Ungleichbehandlung von Lebewesen aufgrund ihrer Art« in Form des Mittagsmahls in die Praxis umsetzen.

Was soll dieses Argument? Korrekt, ein (nichtmenschliches) Tier hat keine Einsicht darin, warum ein anderes wildes Tier es tötet oder ein Mensch ihm seine Freiheit raubt, es ausbeutet und tötet. Es erkennt jedoch in beiden Fällen den Schmerz und das Leid und der letztere Fall ist kein blinder Ablauf von Naturnotwendigkeiten.

Welcher Primat vermag es schon in Abstraktionen zu denken, seine Natur nicht hinzunehmen, sondern auf sie zu reflektieren? Welcher Igel sublimiert seine Triebe? Und welcher Elefant wird vor dem Spiegel feststellen, dass sein Rüssel zu groß ist?

Warum ist das überhaupt von Interesse? Dazu Günther Rogausch:

SpeziesistInnen sehen .. nichtmenschliche Tiere nicht einfach deshalb als inferior an, weil sie nicht der Spezies homo Sapiens angehören. Vielmehr, weil sie der Ansicht sind, über superiore Qualitäten ... zu verfügen. ... Warum sollten nichtmenschliche Tiere, um nicht ausgebeutet zu werden, so sein wie Menschen? Warum sollten sie menschliche Standards erfüllen müssen?

a.a.O., S. 362f.

Diese Fragen sollte man nicht als rhetorische verstehen, sondern Beier und Halberstädter ernsthaft stellen.

Tiere erliegen inneren und äußeren Naturzwängen, die Fähigkeit der Selbsterkenntnis ist ihnen fremd; sie wissen nicht einmal, dass sie existieren. Adorno und Horkheimer beschrieben diesen Umstand in der »Dialektik der Aufklärung« folgendermaßen: »Die Welt des Tieres ist begriffslos ...«

Und was bedeutet das? Was wollten Adorno und Horkheimer damit sagen? Etwa: Was begrifflos ist, darf und soll ausgebeutet werden?

Wer sich den Text Mensch und Tier aus der Dialektik der Aufklärung anschaut, ohne den Autoren schon vorher die Affirmation der Gesellschaft der Schlachthöfe unterstellen, wird ganz anderes finden: Die herrschaftliche Abgrenzung vom Tier auf Basis der »Vernunftbegabtheit« wird kritisiert und als »blutiger Schluss« bezeichnet. So heißt es bei Adorno und Horkheimer:

Dem Menschen gehört die Vernunft, die unbarmherzig abläuft; das Tier, aus dem er den blutigen Schluß zieht, hat nur das unvernünftige Entsetzen, den Trieb zur Flucht, die ihm abgeschnitten ist. Der Mangel an Vernunft hat keine Worte. Beredt ist ihr Besitz, der die offenbare Geschichte durchherrscht. Die ganze Erde legt für den Ruhm des Menschen Zeugnis ab. In Krieg und Frieden, Arena und Schlachthaus, vom langsamen Tod des Elefanten, den primitive Menschenhorden auf Grund der ersten Planung überwältigten, bis zur lückenlosen Ausbeutung der Tierwelt heute, haben die unvernünftigen Geschöpfe stets Vernunft erfahren.

Das Tier kann auf diese Weise nicht erfahren werden, seine Existenz wird geradezu ausgeblendet. Adorno und Horkheimer geht es darum, eine Möglichkeit des Erkennens des Tieres zu formulieren, die jenseits der Trennung liegt, die die besagte »Vernunft« vornimmt:

Dieser sichtbare Hergang verdeckt den Henkern den unsichtbaren: das Dasein ohne Licht der Vernunft, die Existenz der Tiere selbst. Sie wäre das echte Thema der Psychologie, denn nur das Leben der Tiere verläuft nach seelischen Regungen; wo Psychologie die Menschen erklären muß, sind sie regrediert und zerstört. (...) Die Tierpsychologie aber hat ihren Gegenstand aus dem Gesicht verloren, über der Schikane ihrer Fallen und Labyrinthe vergessen, daß von Seele zu reden, sie zu erkennen, gerade und allein dem Tiere gegenüber ansteht.

Adorno und Horkheimer formulieren im Folgenden eine solche Tierpsychologie. In diesem Kontext nun der Satz »Die Welt des Tieres ist begriffslos«. Das ist erst einmal eine Feststellung, denn kurz darauf wird an ihre Begriffskritik erinnert:

Es ist kein Wort da, um im Fluß des Erscheinenden das Identische festzuhalten, im Wechsel der Exemplare dieselbe Gattung, in den veränderten Situationen dasselbe Ding. (...) Das Tier hört auf den Namen und hat kein Selbst, es ist in sich eingeschlossen und doch preisgegeben, immer kommt ein neuer Zwang, keine Idee reicht über ihn hinaus.

Auch zur Frage des Glückes lassen sich die Autoren aus:

Für den Entzug des Trostes tauscht das Tier nicht Milderung der Angst ein, für das fehlende Bewußtsein von Glück nicht die Abwesenheit von Trauer und Schmerz. Damit Glück substantiell werde, dem Dasein den Tod verleihe, bedarf es identifizierender Erinnerung, beschwichtigender Erkenntnis, der religiösen oder philosophischen Idee, kurz des Begriffs.

»Glück« ist demnach immer identifizierend-begrifflich:

Um dem bohrend leeren Dasein zu entgehen, ist ein Widerstand notwendig, dessen Rückgrat die Sprache ist. Noch das stärkste Tier ist unendlich debil.

Adorno und Horkheimer schreiben diese Zeilen nicht, um die Herabwürdigung des Tieres zu befeuern, sondern weil sie versuchen, das Tier nichtidentisch, empathisch und mimetisch zu erkennen, weil das begriffliche, identische Denken es per se nicht erkennen, nur abgrenzen und beherrschen kann.

In der Tierseele sind die einzelnen Gefühle und Bedürftigkeiten des Menschen, ja die Elemente des Geistes angelegt ohne den Halt, den nur die organisierende Vernunft verleiht. (...) In den Märchen der Nationen kehrt die Verwandlung von Menschen in Tiere als Strafe wieder. In einen Tierleib gebannt zu sein, gilt als Verdammnis. Kindern und Völkern ist die Vorstellung solcher Metamorphosen unmittelbar verständlich und vertraut. Auch der Glaube an die Seelenwanderung in den ältesten Kulturen erkennt die Tiergestalt als Strafe und Qual. Die stumme Wildheit im Blick des Tieres zeugt von demselben Grauen, das die Menschen in solcher Verwandlung fürchteten.

Sicherlich gestehen sie Vernunft zu, zwischen Spiel und Ernst, zwischen Traum und Wachen zu unterscheiden und sprechen dies dem Tier ab. Aber auch hier werden Gemeinsamkeiten und Verständnis füreinander herausgearbeitet und die Abgrenzung vom Tier, die Angst vor der Tierhaftigkeit, aufs Korn genommen.

Nun konzedieren Adorno und Horkheimer eine gegenwärtige Asymmetrie und ein Unverständnis, eine Kluft zwischen Mensch und Tier. Gleichzeitig postulieren sie die utopische Möglichkeit einer gemeinsamen Befreiung, einer Überwindung dieser Kluft. So kommt es zu einem Kernsatz:

Das Märchen spricht die Ahnung der Menschen aus. Wenn aber dem Prinzen dort die Vernunft geblieben war, so daß er zur gegebenen Zeit sein Leiden sagen und die Fee ihn erlösen konnte, so bannt Mangel an Vernunft das Tier auf ewig in seine Gestalt, es sei denn, daß der Mensch, der durch Vergangenes mit ihm eins ist, den erlösenden Spruch findet und durch ihn das steinerne Herz der Unendlichkeit am Ende der Zeiten erweicht.

Das Tier kann sein Leiden nicht sagen, es ist begriffslos. Ihm ist die Erlösung verstellt, solange ist es »in sich eingeschlossen und doch preisgegeben« und die Kluft besteht. Es sei denn, der Mensch findet den erlösenden Spruch – dazu wollten Adorno und Horkheimer einen Beitrag leisten. Dies ist nichts weniger als eine Utopie der Herrschaftsfreiheit und einer Versöhnung von Mensch und Tier.

Beier und Halberstädter haben, sollten sie mehr als bloß Satzfetzen aus dem Kontext gerissen haben, Adorno und Horkheimer nicht bloß missverstanden. Sie mussten die »Solidarität mit der Kreatur« mutwillig umlügen in eine Apologie der »Vernunft«, die das Tier absondert, beherrscht und Natur nur als »gebrochene« erlaubt. Die »Dialektik der Aufklärung« charakterisiert die Tiere und das Verhältnis der Menschen zu ihnen nicht deshalb, um die Herrschaft über sie zu legitimieren, wie die Beier und Halberstädter es tun. Adorno und Horkheimer werden als Autoritäten herangezogen und ihnen wird unterstellt, sie würden mit dem Mainstream-Speziesismus konform gehen. Die beiden wollen hingegen die Natur erkennen, denn dann ...

... wird sie zum Drang des Daseins nach seinem Frieden, zu jenem Bewußtsein, das von Beginn an den unbeirrbaren Widerstand gegen Führer und Kollektiv begeistet hat. Der herrschenden Praxis und ihren unentrinnbaren Alternativen ist nicht die Natur gefährlich, mit der sie vielmehr zusammenfällt, sondern daß Natur erinnert wird.

Noch einige weitere Zitate aus »Mensch und Tier«, weil es hier so gut passt:

Die Sorge ums vernunftlose Tier aber ist dem Vernünftigen müßig. Die westliche Zivilisation hat sie den Frauen überlassen.

Die Trennung von Mensch und Tier, Vernunft und Natur, charakterisieren Adorno und Horkheimer als einen Motor der patriarchalen und, später im Text, auch der faschistischen Denkweise. Vernunft = männlich, Natur = weiblich, und die westliche Zivilisation basiert auf der Unterdrückung letzterer. Die Männergesellschaft verbannt Mimesis, damit »die Sorge ums vernunftlose Tier«, und schreibt sie den Frauen zu.

[Die Frau] wurde zur Verkörperung der biologischen Funktion, zum Bild der Natur, in deren Unterdrückung der Ruhmestitel dieser Zivilisation bestand. Grenzenlos Natur zu beherrschen, den Kosmos in ein unendliches Jagdgebiet zu verwandeln, war der Wunschtraum der Jahrtausende. Darauf war die Idee des Menschen in der Männergesellschaft abgestimmt. Das war der Sinn der Vernunft, mit der er sich brüstete. (...) Wo Beherrschung der Natur das wahre Ziel ist, bleibt biologische Unterlegenheit das Stigma schlechthin, die von Natur geprägte Schwäche zur Gewalttat herausforderndes Mal.

Opfer dieser Gewalttaten sind Frauen, aber auch aus dem gleichen Grund auch die Tiere. Der Rest des Textes handelt von der zivilisierten, »verstümmelten Natur«: Frauen im speziellen, der Körper an sich, stellvertretend der Narr, das Tier.

Es wird an die Tiere erinnert, wenn ihre letzten Exemplare, die Artgenossen des Narren aus dem Mittelalter, in unendlichen Qualen zugrunde gehen, als Kapitalverlust für den Besitzer, der die Treuen im Zeitalter des Betonbaus nicht feuersicher zu beschützen vermochte. (...)

Die Menschen sind einander und der Natur so radikal entfremdet, daß sie nur noch wissen, wozu sie sich brauchen und was sie sich antun. (...)

Doch zurück zu Beier und Halberstädter:

Das dem Menschen zuteil werdende »Bewusstsein von Glück«, von dem Adorno und Horkheimer sprechen, fehlt dem Tier vollends. Das Öko-Gerede von glücklichen Hühnern auf dem Bio-Bauernhof ist nicht deshalb fauler Zauber, weil die Henne trotzdem Eier legen soll, sondern, weil es das glückliche Huhn nicht gibt.

Welch Erkentnis: Tiere kennen kein menschliches, begriffliches Glück. Als wollten Adorno und Horkheimer damit bestreiten, dass Hühner einen Unterschied zwischen einem Leben in Freiheit und der Ausbeutung in der Eiproduktion kennen. Deshalb wenden sie im Exkurs über Glück ein: »Für den Entzug des Trostes tauscht das Tier nicht Milderung der Angst ein, für das fehlende Bewußtsein von Glück nicht die Abwesenheit von Trauer und Schmerz.« – Siehe oben.

Der Antispeziesismus ist jedoch nicht nur menschenfeindlich

Bisher wurde überhaupt nicht belegt, dass »DER Antispeziesismus« menschenfeindlich ist.

und infantil

Welch Argument. Die gewalttätige Abspaltung des Tieres vom Menschen wiederholt sich in jeder Kindheit, wussten auch Adorno und Horkheimer.

ihm eigen ist auch eine Doppelmoral. Während menschliche Konsumenten von Kaninchenbraten als blutrünstige Mörder gescholten werden, darf der Fuchs weiter ungestraft am Hasen nagen.

Das ist keine Doppelmoral, weil der Fuchs nicht zur moralischen Einsicht fähig ist, die ihn zum Vegetarismus bringen könnte.

Während der vor etwa zwei Jahren in dem halleschen Hausprojekt Reilstraße 78 erfolgten Bevölkerung von dutzenden Mäusen war es verpönt, diese mittels handelsüblicher Methoden aus dem Haus zu entfernen.

Waren Lebendfallen etwa noch nicht erfunden?

Als dem Projekt dann zufälligerweise eine kurz darauf übergewichtige Katze zulief, die den Mäusemord unter Beifallklatschen erledigte, war die vegane Tom-und-Jerry-Welt wieder in Ordnung.

Ja, und auf dem konventionellen Erbsenfeld passiert ein »Massenmord« an Nagetieren und Insekten. Inwiefern stellt das die Vermeidung von Tierleid in Frage?

Gerade der Absurdität eines solchen Denkens entspringt ...

Natürlich gibt es im Detail Schwierigkeiten, aber was daran nun grundsätzlich widersprüchlich oder gar absurd sein soll, verraten uns die Autoren nicht.

– bei Weltrettungssekten nicht unübliche – hartnäckige Bekehrungszwang und der fanatische, geradezu inquisitorische Eifer der Animalrightfighters, mit dem nicht selten für die zur Ersatzreligion geronnenen Ideologie missioniert wird.

Zwang, Fanatismus, Ersatzreligion, Inquisition, Ideologie – das ist mehr Rhetorik, Bashing und Unterstellung als inhaltliche Kritik.

Die Idee der Veganer, Tierrechtler und Erdenretter, sich im Geiste mit allerlei Kreaturen dieser Erde gemein zu machen,

Sich mit allen Kreaturen solidarisch machen eher.

gar mit ihnen gemeinsam den Kampf gegen die Dekadenz der Waren produzierenden Gesellschaft aufzunehmen,

Wo bitte kämpfen sie gegen eine behauptete »Dekadenz« der Warengesellschaft? Zitate, Belege, Quellen?

ist, wie jeder antizivilisatorischen Ideologie, der Impuls zum Pogrom immanent.

Tierrechtler und Tierschützer stünden direkt vor dem Pogrom – welch haltlose und unbestimmte Unterstellung.

26.07.2008