Konservativismus
(Nachtrag: Ausführliche Antwort der Organisatoren des Antispe-Kongresses.)
Siehe auch Kommentare in einem weiteren Blog.
In Anknüpfung daran - die Auslassung zu Singer spare ich mir, ich gehe gleich zu dem Punkt, wo man den Antispeziesismus »an sich« auch jenseits und gegen Singer für notwendig reaktionär erklärt.
Konservativismus ist, wenn Herrschaftskritik denunziert wird, weil diese durch Infragestellen der herrschenden Denkformen letztlich die Emanzipation gefährde. Die Kritik könnte das Bestehende, speziell das daran Bewahrenswerte, problematisieren, zur Disposition stellen und damit zu seiner Auflösung, anstatt seiner Ausdehnung beitragen.Bei beiden Konzepten des Antispeziesismus, dem singerschen und dem ›linken‹, entsteht die Möglichkeit der Verhandelbarkeit, dessen was einen Menschen oder – ungern gesagt – eine »Person« oder »menschliches Tier« ausmacht. Beide Konzepte ermöglichen die Diskussion darüber, wer überhaupt als solche gelten und welche nicht, je nach aktuell dominantem Diskurs, mal biologisch, mal ökologisch. Solch eine Denkweise eröffnet lediglich neue und verschleiert alte Diskriminierungen. In letzter Konsequenz bietet die Denkart des Antispeziesismus mit ihrer Verhandelbarkeit der Kategorie Mensch immer die Möglichkeit, jemanden ›zur Tötung frei zu geben‹ und ist deshalb grundfalsch und zu verwerfen.
Diese Denkweise erlaubt nicht, das Bestehende auf seine Gemachtheit hin zu untersuchen und es daraufhin ideologiekritisch zu durchleuchten. Warum ist die Herrschaftsordnung so eingerichtet? Wie hat sie sich etabliert, wie etabliert sie sich fortwährend, wie funktioniert sie und wie rechtfertigt sie sich? Das ist den Konservativisten egal, diese Ordnung, so banane, irrational und gewalttätig sie sein mag, ist »immer noch besser«, als wenn die Ordnung zur vernünftigen Disposition stünde. Was da überhaupt verteidigt werden soll, ist weder angesehen, noch erkannt, noch verstanden.
So werden im Grunde bloß Verbote ausgesprochen: Die moralischen Institutionen dürfen nicht einmal »verhandelt« werden. Insbesondere »Individuum«, »Person«, »Mensch« dürfen nicht verhandelbar sein. Dabei sind selbige immer schon verhandelt, werden ständig und immer wieder verhandelt! AK Gibraltar fällt gleichsam auf einen Fetisch herein und verschleiert die Geschichtlichkeit, indem er bürgerlich-idealistische Begriffe wie eine Monstranz vor sich her trägt und dabei weiß: Das ist schon gut so, daran darf nicht gerüttelt werden! Eine Kritik dieser Denkweisen in emanzipativer Absicht machen sie nicht mit. Das ist ihr ganzes Argument gegen linken Antispeziezismus.
Hier unterliegt AK Gibraltar einem plumpen, falschen, undialektischen Widerspruch. Ein emanzipatives und utopisches Moment in der »Vielheit der Individuen« wird geleugnet, stattdessen gänzlich ins Konforme umgewendet, sodass es vermeintlich im »Neoliberalismus« aufgeht. Dabei wäre Individualität hochzuhalten doch nur dagegen möglich. Besser sei der »kollektive Kampf«. Soll das heißen: Individualität ist notwendig verraten, Befreiung heißt Kollektiv? Ja nee, is klar.Allerdings stoppt der ›linke‹ Antispeziesismus nicht mit seiner Trennung in »menschliche« und »nichtmenschliche Tiere«. Es handelt sich im antispeziesistischen Sinn lediglich um eine Übergangsphase in die Wahrnehmung einer Vielheit von Individuen. Hier stehen wir wieder vor einem Widerspruch, denn diesen Anspruch kann das Konzept des ›linken‹ Antispeziesismus nicht erfüllen. Nicht, dass es uns glücklicher machen würde, wenn er es könnte: Der Neoliberalismus lässt grüßen. Uns geht es vielmehr um einen kollektiven Kampf um eine emanzipatorische Gesellschaft.
Gleich darauf noch ein offensichtlicher Denkfehler:
Als ob die »Diskussion über die Gestaltung der Gesellschaft« ohne Projektionen auf »die Tiere« auskäme, insbesondere nachdem AK Gibraltar AntispeziesistInnen aus selbiger Gestaltung ausgeschlossen hat. Auch hier die bewusstlose Abwehr der Kritik, die dem herrschenden Diskurs Vorurteile nachweist und seine Konstruktionen analysiert: Die gegenwärtige Ordnung sei schon richtig, nur wenn sie in Zweifel gezogen wird, träten Projektionen auf. – Dabei ist der AK Gibraltar der letzte, der eine Problematisierung des Mensch-Tier-Verhältnisses und dessen Projektionen leisten würde und diese Reflektionen in eine Theorie der menschlichen Befreiung eingliedern würde.Aber eine Diskussion über die Gestaltung dieser Gesellschaft werden weder die AntispeziesistInnen noch wir mit den Hunden in der Volxküche oder mit den Maschseeenten führen. Weil die sich nicht politisch äußern, bleibt es ausschließlich Projektion der AntispeziesistInnen, was am besten für sie ist.
AK Gibraltar stellt fest, dass eine den Tieren zugeschriebenen »Individualität« nicht über eine »subjektivierende Projektion« hinauskommt. Unabhängig davon, dass diese Problematik von AntispeziesistInnen durchaus reflektiert wird, lautet ihre Schlusskette: Ich kann es nicht wahrnehmen, daher kann ich es nicht wissen, daher kann ich ihm höchstens Individualität zuschreiben, es kann diese nicht für sich (und für mich verständlich) beanspruchen. – Das sagt erst einmal etwas über die ungleiche Beziehung aus, d.h. die Unmöglichkeit auf Seiten des Menschen, das Tier angemessen wahrzunehmen. Es sagt nicht mehr, als dass das Tier unter der menschlichen Herrschaft nicht plötzlich nach menschlichen Maßstäben aufbegehrt, indem es auf zwei Beinen geht, die Ausbeuter verbal anklagt und einen Subjektstatus beansprucht.
Was hier nicht ausgesprochen wird, sind die Implikationen: Aus dem »ich kann nicht wissen« folgt faktisch die sang- und klanglose Rechtfertigung der Verdinglichung des Tieres und der totalen Herrschaft über das Tier. An das spezifische Mensch-Tier-Verhältnis, das sich in Legebatterien ausdrückt, wird nicht ein Gedanke verschwendet, geschweige denn werden Einwände vorgebracht. Wie könnten sie auch?Es können aber keine Individuuen unter Tieren wahrgenommen werden: Wer kann wissen, ob das eine Huhn die Legebatterie nicht ganz anders empfindet als das andere Huhn?
Abgesehen davon, dass gewisse AntispeziesistInnen einen himmelweiten Unterschied herausarbeiten und keineswegs »jeglichen Verständnisses von Antisemitismus« entbehren, greift hier wieder dieselbe Argumentationsfigur: Wer die »Verflechtung zwischen Tierausbeutung und Menschenvernichtung« untersucht, reiße Dämme ein und müsse notwendig bei der Entpolitisierung von Auschwitz angelangen, wie es PeTA tut.Wenn eine Trennung in Mensch und Tier abzulehnen sein soll, also von allen Aspekten der Menschlichkeit abstrahiert wird und Kriterien aufgestellt werden, wie Glück, Leid oder sonstwas zu empfinden, woran ist dann bitte noch ein Unterschied zwischen einer Legebatterie und Auschwitz festzumachen?
Dabei geht das gerade für die vom AK Gibraltar angeführte Witt-Stahlsche Rezension von Eternal Treblinka nicht auf. Diese reißt keine Dämme ein, sondern befestigt sie und zieht viel differenziertere und deutlichere Grenzen ein, als vorher bestanden. Die Rezension verwirft geradezu Pattersons Buch, gerade weil dieses der Denkfigur »Holocaust für die Tiere« den Weg bereitet. Hätte man auch nur einen weiteren Text der Autorin gelesen, wüsste man, wie absurd diese Vorwürfe sind.
Hier wird erneut speziell dem Antispeziesismus etwas zugeschrieben, was aus dem sonstigen Denken demnach herausdefiniert wird: Neue Kategorien schaffen! Menschen einordnen und diskriminieren nach Definitionsmacht! – Als käme das alles erst mit dem Antispeziesismus auf die Welt. Als wären linke AntispeziesistInnen die UrheberInnen dieses identifizierenden Denkens. Als würden bestehende, darunter speziesistische Kategorien nicht wie selbstverständlich mithilfe von Definitionsmacht die Welt ordnen und dabei notwendigerweise diskriminieren.Der Denkmechanismus des Antispeziesismus, ob links, rechts oder neoliberal, bleibt der gleiche. Es geht bei allen darum, neue Kategorien zu schaffen und Menschen nach bestimmten Kriterien einzuordnen, je nach Weltbild und Definitionsmacht. Was bleibt, sind neue oder alte Diskriminierungen durch Zuordnungen nach bestimmten Kriterien.
Zu all dem kann AK Gibraltar kein Wort verlieren: Er hat daran keine Kritik vorzuweisen, weil er diesen »Denkmechanismus« nicht als allgemeingesellschaftliches Konstitutionsverfahren von Herrschaftsverhältnissen anerkennt – und zu allererst die eigenen Kategorien hinterfragt –, sondern ausschließlich beim Antispeziesismus verortet und dort punktuell einzudämmen versucht.
25.07.2008