Undenied. Fremde Haut, Naissance des Pieuvres, Portishead.
Die Situation der beiden Protagonistinnen von Fremde Haut und Naissance des Pieuvres scheint zunächst gänzlich verschieden.
Die Orte: Das Niemandsland, die »Unterkünfte«, der Landkreis Esslingen, die Sauerkrautfabrik, der öffentliche Raum, in dem Nichtdeutsche Freiwild sind. – Allesamt Gefängnisse.
Die absurde Komik, die dieser Film ständig entfaltet und zum lauten Lachen verführt. Shirin hilft dem deutschen Polizisten beim Kreuzworträtseln: Novalis. Mit »w«? Nein, »v«. Überhaupt: Die deutschen Männer! Peinlich und blamabel. Schlagen Ausländer/innen (»Ayatollahs«) und Frauen und halten das deutsche Haus sauber. Hand in Hand mit dem Abschiebestaat. Bürger zeigen Courage! – Die falschen Briefe an Siamaks Eltern, die vom schönen Leben in Deutschland erzählen. – »Wie gefällt es dir in Deutschland?« Fariba/Siamak lächelt. – Gleichzeitig: »In einem der Umschläge sind definitiv 20.000 Euro« sagt das Fernsehen, in dem Moment, als die Beamten einen Insassen zur Abschiebung holen. Der Schläger verfehlt den Ping-Pong-Ball, der Ball rollt auf dem Boden und trifft zufällig diese Person. Man hält inne. Man schaut sich an. Man sagt nichts. Jeder kann es ahnen. Jeden kann es treffen. Jederzeit. Der Ball wird aufgehoben, das Ping-Pong geht weiter. – Nichts besseres drückt die Kontingenz besser aus als dieser absurde Galgenhumor.
Der Film dramatisiert nicht, kommt ganz ohne Empörung und Anklage aus. Keine Skandale, keine Bösewichte. Jeder tut seinen Job, alles verläuft reibungslos. Ganz normaler Alltag. Das heißt Tod, Verfolgung, Unterdrückung, Schinderei, Kälte. Keine Ruhe, keine »Heimat«. Auf freiem Fuß, das heißt Flucht ohne Ende. Das Flugzeug: Machtinstrument, das Leute in die Hölle schickt, und Möglichkeit der Befreiung zugleich. Über dem Kohlfeld starten immerfort die Flieger und weisen darauf, was nicht ist. Fariba/Siamak, die/der Fremde kann den armseligen Deutschen nur simple Lektionen auf den Weg geben, was Emanzipation bedeuten könnte: Warum gehst du nicht? – Habe ich schon versucht, ist gescheitert. – Dann musst du halt wieder weglaufen. – Ja, stimmt eigentlich.
So entwickelt der Film eine umwerfende, übermenschliche Stärke: Sehnsucht und Begehren nach dem Nicht-Ort in einer Zeit von allseitiger Bedrückung, Zerfahrenheit und Traurigkeit. Die Regisseurin: »Mich interessiert die Normierung als Thema, die Absurdität der Norm. In Deutschland muss man ein Coming out haben und alles öffentlich machen, nur weil jemand von der ›Sexualnorm‹ abweicht. Foucault nennt das Geständniskultur. Sex bleibt kein Geheimnis mehr. Ich finde den Versuch falsch, als sogenannte Randgruppe sich dem zu beugen und alles zu erklären, oder sich vereinnahmen zu lassen – wie durch die Homo-Ehe.«
Es ist erfreulich, mit anzusehen, was alles möglich wird, wenn ein Film dem hegemonialen Identitätsmodell des Exportweltmeisters eine Absage erteilt und in puncto Begehren Privatheit einfordert, anstatt Identitäten und Gender zu bestätigen. Erschreckend, aber hellsichtig werden die spezifischen Verwerfungen, die Repressionen und die Gewalt dargestellt, die einer solchen Entscheidung entgegenschlagen: »Abweichung« konstituiert sich nirgendwo anders als im Machismus, in der Frauenfeindlichkeit und im Rassismus der deutschen Männer, die allesamt im Prügeln und Abschieben kulminieren.
Als Passageritus par excellence gilt der Vollzug des heterosexuellen Geschlechtsverkehrs. Sexualität ist hier das absolute Gegenteil von selbstbestimmter Lust: das schlechthin Aufgezwungene. Und Körperlichkeit muss genormt und ausgestellt werden, »Schönheit« wird verlangt. Der Film zeigt diese Entindividualisierung und Disziplinierung metaphorisch in langen Szenen: Synchronschwimmen. Inspektion und Angleichung der Körper und seiner Bewegungen.
Demgegenüber ist Begehren das Thema des Filmes und gleichzeitig unsichtbar, unartikuliert, nicht umgesetzt, nicht real, bloß Phantasie. Marie starrt und bewundert aus der Ferne. Real sind Herabwürdigung, Angst und Unterdrückung der eigenen Wünsche. Nur wenige Momente der spontanen Selbstermächtigung: Etwa wenn Anne sich über François, der auf Sex aus ist, beugt, vorgibt, ihn küssen zu wollen, ihm aber in den Mund spuckt.
Farima ist permanent auf der Flucht und lebt verkleidet, um sich zu schützen. Marie ist keine starke Kämpferin, keine listige Bezwingerin der Kontingenz aus der Not heraus. Marie ist eine Flucht unmöglich.
Your softly spoken words
Release my whole desire
Undenied
Totally
❦
Die Eine: Flüchtling, illegalisiert. Ein/e Betrüger/in, »schwarz«, »falsche« Identität. Geflohen aus einem Land, das »deviantes« Begehren pathologisiert und mit dem Tod bestraft, in die »freie Welt«. Die Kamera schaltet sich an, als der iranische Luftraum verlassen wird, und schaltet sich aus, als dieser betreten wird. Dazwischen zeigt sich der Westen von seiner besten, bestmöglichen Seite. Das Entwicklungsland heißt Deutschland: Was die Kamera einfängt, ist mörderisch. Beschädigte, eingezäunte Leben. Kein Wort, das nicht den blamiert, aus dessen Mund es stammt, und sei es nur aus Naivität und Bewusstlosigkeit. »Unveiled«, unverschleiert, so die Ironie des englischen Titels, kann und darf sich dort niemand zeigen. Die Verschleierung garantiert auf beiden Seiten das nackte Überleben.Die Orte: Das Niemandsland, die »Unterkünfte«, der Landkreis Esslingen, die Sauerkrautfabrik, der öffentliche Raum, in dem Nichtdeutsche Freiwild sind. – Allesamt Gefängnisse.
Die absurde Komik, die dieser Film ständig entfaltet und zum lauten Lachen verführt. Shirin hilft dem deutschen Polizisten beim Kreuzworträtseln: Novalis. Mit »w«? Nein, »v«. Überhaupt: Die deutschen Männer! Peinlich und blamabel. Schlagen Ausländer/innen (»Ayatollahs«) und Frauen und halten das deutsche Haus sauber. Hand in Hand mit dem Abschiebestaat. Bürger zeigen Courage! – Die falschen Briefe an Siamaks Eltern, die vom schönen Leben in Deutschland erzählen. – »Wie gefällt es dir in Deutschland?« Fariba/Siamak lächelt. – Gleichzeitig: »In einem der Umschläge sind definitiv 20.000 Euro« sagt das Fernsehen, in dem Moment, als die Beamten einen Insassen zur Abschiebung holen. Der Schläger verfehlt den Ping-Pong-Ball, der Ball rollt auf dem Boden und trifft zufällig diese Person. Man hält inne. Man schaut sich an. Man sagt nichts. Jeder kann es ahnen. Jeden kann es treffen. Jederzeit. Der Ball wird aufgehoben, das Ping-Pong geht weiter. – Nichts besseres drückt die Kontingenz besser aus als dieser absurde Galgenhumor.
Der Film dramatisiert nicht, kommt ganz ohne Empörung und Anklage aus. Keine Skandale, keine Bösewichte. Jeder tut seinen Job, alles verläuft reibungslos. Ganz normaler Alltag. Das heißt Tod, Verfolgung, Unterdrückung, Schinderei, Kälte. Keine Ruhe, keine »Heimat«. Auf freiem Fuß, das heißt Flucht ohne Ende. Das Flugzeug: Machtinstrument, das Leute in die Hölle schickt, und Möglichkeit der Befreiung zugleich. Über dem Kohlfeld starten immerfort die Flieger und weisen darauf, was nicht ist. Fariba/Siamak, die/der Fremde kann den armseligen Deutschen nur simple Lektionen auf den Weg geben, was Emanzipation bedeuten könnte: Warum gehst du nicht? – Habe ich schon versucht, ist gescheitert. – Dann musst du halt wieder weglaufen. – Ja, stimmt eigentlich.
So entwickelt der Film eine umwerfende, übermenschliche Stärke: Sehnsucht und Begehren nach dem Nicht-Ort in einer Zeit von allseitiger Bedrückung, Zerfahrenheit und Traurigkeit. Die Regisseurin: »Mich interessiert die Normierung als Thema, die Absurdität der Norm. In Deutschland muss man ein Coming out haben und alles öffentlich machen, nur weil jemand von der ›Sexualnorm‹ abweicht. Foucault nennt das Geständniskultur. Sex bleibt kein Geheimnis mehr. Ich finde den Versuch falsch, als sogenannte Randgruppe sich dem zu beugen und alles zu erklären, oder sich vereinnahmen zu lassen – wie durch die Homo-Ehe.«
Es ist erfreulich, mit anzusehen, was alles möglich wird, wenn ein Film dem hegemonialen Identitätsmodell des Exportweltmeisters eine Absage erteilt und in puncto Begehren Privatheit einfordert, anstatt Identitäten und Gender zu bestätigen. Erschreckend, aber hellsichtig werden die spezifischen Verwerfungen, die Repressionen und die Gewalt dargestellt, die einer solchen Entscheidung entgegenschlagen: »Abweichung« konstituiert sich nirgendwo anders als im Machismus, in der Frauenfeindlichkeit und im Rassismus der deutschen Männer, die allesamt im Prügeln und Abschieben kulminieren.
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Die Andere: fürchtet nicht um ihr Leben, sondern ist eher eine wie Anne, die Deutsche, die vom Weglaufen träumt. Erwachsenwerden, das heißt beherrscht und verwaltet werden, das heißt die Zwänge, die vorgezeichneten Modelle annehmen. Das tun, was von einem verlangt und erwartet wird, damit man anerkannt und integriert ist. Naissance des Pieuvres ist kein Teenie-Film, wo letztlich alle ihr planmäßiges Coming of Age meistern, einen boyfriend / girlfriend finden und nichts weniger als eine anerkannte und stabile Identität herausbilden.Als Passageritus par excellence gilt der Vollzug des heterosexuellen Geschlechtsverkehrs. Sexualität ist hier das absolute Gegenteil von selbstbestimmter Lust: das schlechthin Aufgezwungene. Und Körperlichkeit muss genormt und ausgestellt werden, »Schönheit« wird verlangt. Der Film zeigt diese Entindividualisierung und Disziplinierung metaphorisch in langen Szenen: Synchronschwimmen. Inspektion und Angleichung der Körper und seiner Bewegungen.
Demgegenüber ist Begehren das Thema des Filmes und gleichzeitig unsichtbar, unartikuliert, nicht umgesetzt, nicht real, bloß Phantasie. Marie starrt und bewundert aus der Ferne. Real sind Herabwürdigung, Angst und Unterdrückung der eigenen Wünsche. Nur wenige Momente der spontanen Selbstermächtigung: Etwa wenn Anne sich über François, der auf Sex aus ist, beugt, vorgibt, ihn küssen zu wollen, ihm aber in den Mund spuckt.
Farima ist permanent auf der Flucht und lebt verkleidet, um sich zu schützen. Marie ist keine starke Kämpferin, keine listige Bezwingerin der Kontingenz aus der Not heraus. Marie ist eine Flucht unmöglich.
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Beide Geschichten drehen sich um das Begehren, das unterdrückte, das unerfüllte, das verfolgte, das verunmöglichte. Bei Portishead sind Identität und Begehren Kernthemen. Identität als das, woran man ständig leidet, weil man es finden muss, aber nicht festsetzen kann. Begehren als das unaussprechliche, schlechthin persönliche und nicht intelligible. Das nicht länger versteckt, sondern freigesetzt werden will, das aus einem herausbricht.Your softly spoken words
Release my whole desire
Undenied
Totally
23.07.2008