(un)verfügbare körper
soweit ich butler verstanden habe, sieht sie diese aneignung und umdeutung der außenseiter-identität bloß rein funktional und strategisch und weiß um dessen probleme. davon abgesehen hat der autor recht, »we're here, we're queer« schlägt von der überlebensstrategie als reaktion auf gesellschaftliche gewalt und marginalisierung in eine konforme queer-identität, die von der ordnung, in die man sich wieder einfügt, nichts mehr wissen will. ob man das nun vollständig butlers theorie zuschreiben kann, für die »queer« eher gerade die auflösung dieses integrierungszwangs bedeutet, wäre die frage.Die richtige Einsicht, dass die sozialen und kulturellen Leitdifferenzen allesamt nicht naturgegeben, sondern konstruiert sind, mutiert bei Butler zum Alibi für die Umwandlung des Stigmas zum Warenzeichen: »Anders« zu sein, verweist nun nicht mehr auf einen gesellschaftlich produzierten Makel, der das Subjekt von der Ordnung, aus der es ausgestoßen wurde, entfremdet, sondern erscheint als positive Selbstauszeichnung angesichts eines Zustands, in dem jeder aufgerufen ist, noch seine Wunden, Schwächen und Fehlleistungen als Differenzierungsmerkmale zu Markte zu tragen.
aus solchen sätzen spricht mehr das vorurteil gegenüber postmodernem denken:
was nun an diesem performativen blick problematisch ist und inwiefern man geschlechterverhältnisse über den »wahrheitsgehalt« kultureller äußerungen analysieren kann, verrät uns der autor nicht. aber die reflexe gegen die postmoderne, die die »wahrheit« begraben wolle, beherrscht er gekonnt.Wer im akademischen Diskurs oder im Alltag einen »performativen« Blick beansprucht, erklärt damit seine Bereitschaft, fortan nicht mehr darauf zu schauen, welchen Wahrheitsgehalt eine Rede, ein Kunstwerk oder ein bestimmtes Sozialverhalten haben könnte, sondern nur noch darauf, was diese jenseits ihres Gehalts »machen«, »hervorbringen«, »produzieren«.
auch hier unter dem polemischen lametta eine wichtige feststellung (im grunde dieselbe wie im obigen zitat), die ein ausgangspunkt für weitere überlegungen sein könnte.Wie die politische Praxis aussieht ... lässt sich am Christopher Street Day oder am Berliner Karneval der Kulturen illustrieren, die früher einmal politisch motivierte Veranstaltungen gewesen sein mögen, mittlerweile aber zur differenztheoretischen Selbstbeweihräucherung einer Gesellschaft verkommen sind, die das Individuum endgültig liquidiert hat und allenfalls als Imitat, als bunt zurechtgemachten Stellvertreter einer ethnisch, sexuell, politisch oder sonstwie homogen definierten Gruppe dulden mag. Das »Anderssein« ... wird dabei überhaupt nicht mehr als Symptom einer Wunde – also als Produkt von Diskriminierung und Leiden – wahrgenommen, sondern nur noch als abstrakter Unterschied, mit dem die solcherart Stigmatisierten in der zum hedonistischen Kollektiv zusammengeschweißten Volksgemeinschaft hausieren gehen sollen.
der einwand gegen die »resignifikation« geht nicht auf:
mit dem hinweis ist nichts neues gesagt: natürlich war und ist »schwul« ein ausgrenzendes schimpfwort und bereitet weitere gewalt vor, da setzt die resignifikation erst an. der autor dazu:Wie gering die Halbwertzeit der ästhetischen Strategien wie Diskursparodie, Travestie usw. ist, die Butler im »Unbehagen der Geschlechter« als politische Strategien glaubte verteidigen zu können, zeigt sich daran, dass der Ausdruck »schwul«, gleich hinter »Jude«, auf deutschen Schulhöfen längst wieder zu einem der beliebtesten Schimpfwörter geworden ist.
der einwand ist durchaus berechtigt, es ist schon sehr verzwickt. die frage ist, ob die homophobie gerade der gesellschaftlichen emanzipation einiger menschen unter der identität »schwul« anzulasten ist, also ob »queer and proud of it« die stigmatisierung stärkt und reinstalliert.der Alltag [beweist], dass die Praxis der »Resignifikation« in der umgekehrten Richtung, als Restitution des überkommenen Stigmas, womöglich noch besser funktioniert.
der rest des artikels lässt ebenso fragen offen. der autor versucht nach der vernichtenden kritik eine zaghafte positive wende, die aber gänzlich unausgegoren bleibt.
was etwa dieser einwand soll, bleibt unklar. butler geht davon aus, dass die herrschenden geschlechternormen bloß durch die wiederholung von einzelhandlungen bzw. akten bestand haben, darüber hinaus aber nicht in stein gemeißelt sind (ergo es gibt kein gender, außer wir tun es). demgemäß können sie nur durch subversion dieser wiederholungen verändert werden. insofern gibt der autor butler offenbar korrekt wieder, aber was an diesem modell der praxis nun falsch soll, führt er nicht aus.um »dekonstruiert« zu werden, müssen die Rollenbilder immer auch zitiert, mithin wiederholt werden; die Dekonstruktion lebt vom Gegenstand ihrer Kritik wie der Talkmaster vom Skandal.
natürlich geht »immanente« kritik und daran anschließende verändernde praxis immer von der kritisierten sache und den gegenwärtigen verhältnissen aus und »lebt« demnach von ihr. warum und wie ist das zu überwinden?
im letzten absatz versucht der autor ein eigenes, utopisch abgehobenes modell und missversteht die perspektive der dekonstruktivistischen gendertheorie.
richtig: faktisch ist der körper nichts anderes als eine einschreibfläche von kultureller bedeutung - das ist erst einmal eine feststellung, die diesen umstand nicht bloß abfeiern will, sondern ihn als ausgangspunkt der kritik nimmt. den körper als rohstoff, also als nicht substanzontologisch vorbelegt zu begreifen, ist kein aufruf zur weiteren verstümmelung, disziplinierung und normierung, sondern bietet eine mögliche perspektive der emanzipation, weil kontingent ist, was wer wie einschreibt und welchen effekt das hat.Der »Körper« wird dabei, wie es die einschlägigen Diskurse unverblümt ausplaudern, tatsächlich zur »Einschreibfläche«, zum Rohstoff theatraler Inszenierungen
gegen dieses modell setzt der autor:
hier zeigt sich, dass der autor den kritisierten ansatz überhaupt nicht gewürdigt hat. dieser stellt gerade fest, dass der körper derzeit kein unverfügbares residuum ist, sondern gesellschaftlicher kampfplatz. dieser zustand ist wahrlich nicht auf ewig wünschenswert. butler hat dazu beigetragen, eine auflösung denkbar zu machen und praktische ansätze formuliert - die zweifellos kritikwürdig sind.damit [wird der Körper] – aller Polemik gegen »Naturalisierungen« zum Trotz – erst recht zur bloßen Natur, statt als unverfügbares Residuum subjektiver Erfahrung wahrgenommen zu werden.
der autor proklamiert demgegenüber einfach die im besten wortsinne utopische unverfügbarkeit, den körper als gänzlich individuelles und »privates« - als wäre es damit getan. das ist schön, aber eine solche proklamation ist das papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist. anstatt in den körper und die sexualität kontrollierende diskurse einzugreifen, will der autor den weg überspringen und gleich zum ziel. selbst wenn das erstrebenswert ist: wie er sich diesen sprung vorstellt, lässt er uns leider nicht wissen.
diesem schlusssatz ist zuzustimmen, doch was die »alltagsbeweise« des autors mit einer bestimmten gendertheorie zu tun haben soll, ist nicht präzise herausgearbeitet. der autor macht offenbar den fehler, einer bestimmten theorie eine bestimmte kritikwürdige praxis anzulasten, als hätte jene gegen diese keine einwände formuliert.Dass diese Entwicklung Zeugnis eines »freieren« und »glücklicheren« feministischen Selbstverständnisses sein soll, wie ihre Apologeten suggerieren, ist zweifelhaft. Wäre es wirklich so, hätten sie längst verlernt, ihr Glück mit dem Lautsprecher der Mehrheit in die Welt zu posaunen.
28.05.2008