sinistra: Der Hauptfeind ist Deutschland

Der im letzten Beitrag genannte Beitrag der sinistra zur neuen Ausgabe der Phase 2 ist doch eine genauere Lektüre wert: Der Hauptfeind ist Deutschland (PDF). Und mein Urteil, das vom Abriss aus der Einleitung ausging, muss ich teilweise revidieren.

Die AutorInnen stellen zurecht fest:

Insbesondere durch die … Verklärung der amerikanischen Politik und Gesellschaft und einen sich immer stärker bemerkbar machenden emphatischen Bezug auf "westliche Werte", "Freiheit", "Demokratie" und dergleichen mehr, weicht die Kritik zusehends der Apologie des Bestehenden. Resultat ist eine faktizistische Weltsicht [Hervorhebung zapperlott] …

In der Einleitung wurde tatsächlich nur das dümmere, »pragmatische« der beiden Hauptargumente genannt. Kein Zufall, es passt in diese Einleitung. Glücklicherweise geht es der sinistra nicht bloß darum, zu konzedieren, dass ein Mitmischen der radikalen Linken im globalen Interventionsbusiness keine Folgen zeitigen würde, sondern um ähnliche Einwände, wie ich sie zu formulieren versucht habe:

Die Interventionszone für eine radikale antinationale/antideutsche Linke liegt jedoch unter den gegenwärtigen Bedingungen keineswegs in der Sphäre der Weltpolitik. [1.] Zum einen erscheint fraglich, welchen Einfluss diese ohnehin marginalisierte Linke hier überhaupt haben sollte, [2.] zum anderen führt eine Parteinahme – und eine andere Möglichkeit bleibt mangels eigener Handlungsoptionen hier wohl kaum – für den einen oder anderen weltpolitischen Akteur notwendig auf das Terrain der Realpolitik, die aber bereits vom Begriff her das Gegenteil radikaler Gesellschaftskritik ist. Sie bewegt sich strikt im Rahmen eines bereits vorab von anderen definierten Feldes. Wertvergesellschaftung, bürokratische Verwaltungsapparate, nationalstaatliche Verfasstheit und all die anderen großartigen Errungenschaften unserer Zeit (oder schlimmeres) sind hier schon selbstverständlich vorausgesetzt. [Hervorhebung z.]

Neben dem den Nationalsozialismus verharmlosenden Reden vom »Islamofaschismus« kritisiert die Gruppe die linksradikalen Forderungen nach stärkerem militärischen Engagement des wiedererstarkten Deutschlands:

Spätestens aber wenn das ausbleibende Engagement der ruhmreichen deutschen Armee im Irak beklagt oder der Einsatz in Afghanistan gerechtfertigt wird, kann von antideutscher Politik nicht mehr ernsthaft die Rede sein. … Ein geläutertes Deutschland führt wieder Krieg, nur diesmal endlich auf der richtigen Seite, Hand in Hand mit den Alliierten kämpft die Bundeswehrmacht gegen einen neuen Faschismus. Dabei ist die Argumentation nicht einmal besonders originell …

Dies wendet sinistra um:

[Die] Vorstellung, religiösen Wahnvorstellungen, Antisemitismus, Nationalismus oder Sexismus in weit entfernten Weltgegenden wirksam entegegentreten zu können, wenn dies nicht einmal vor der eigenen Haustür gelingen mag, ist fast schon vermessen. Viel wichtiger wäre es also, die Verhältnisse dort anzugreifen, wo sie einem auf die Füße fallen. …

Der Weg des alltäglichen Kampfes gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, usw., usf. ist unspektakulär, steinig, von Misserfolgen geprägt und deshalb oftmals frustrierend. Ungleich einfacher erscheint da doch der Weg der Identifikation mit einem mächtigen Akteur, der gewissermaßen stellvertretend für die deutsche Linke das durchzusetzen verspricht, wozu diese offenkundig außerstande ist. … Während die einen ihre enttäuschten revolutionsromantischen Hoffnungen auf mehr oder weniger emanzipatorische und heutzutage zumeist sehr fragwürdige Befreiungsbewegungen der Dritten Welt setzen, üben sich die anderen, die historische Konstellation des 2. Weltkriegs neu aufleben lassend, im virtuellen Schulterschluss mit der US-Army. Dass dabei sowohl Trikontpartisan_innen als auch amerikanische Regierung jenseits idealistischer Bekundungen ihre eigenen politischen und ökonomischen Interessen verfolgen [Hervorhebung z.], ohne von irgendwelchen linken Szenediskussionen auch nur die geringste Notiz zu nehmen ist die dabei gerne übersehene Realität.

Das alles scheint mir schon tausendfach gesagt worden und wahrscheinlich ist es auch das dutzende Papier, indem sich sinistra so positioniert. Schließlich haben die Claquere der »westlichen Zivilisation« gerade Hochkonjunktur – Stimmen wie die von sinistra passen nicht in die hegemoniale Kulturkampf-Front von Neokonservativen und »Liberalen« bis hin zu ihren linksradikalen Apologeten.

Anstatt grundlegend Neues von dem Text zu erwarten, ist er wohl eher als Widerspruch im Kontext der Phase-2-Ausgabe zu lesen: Auf die Aufforderung, sich konstruktiv am Räsonnement der linksradikalen Interventionisten zu beteiligen, die am liebsten mit deutscher Feuerkraft den Erdball »zivilisieren« wollen, gibt es nur die Verweigerung als Antwort: Der Ausbruch aus dem »bereits vorab von anderen definierten Feld[]«, indem man die Diskussion vom Kopf auf die Füße stellt und die »idealistischen Kriegsbegründungen« zurückweist.

Wenn die anderen Artikel halten, was die Einleitung verspricht, frage ich mich, warum sinistra bereitwillig die Rolle des Feigenblattes übernimmt. Dem Außenseiter wird erlaubt, an den - im Wortsinne - anti-deutschen Basisbanalitäten festzuhalten, während die restlichen AutorInnen des Schwerpunkts längst darüber hinaus sind und offenbar davon unbehelligt darüber sinnieren können, wie »wir« die »anderen« »humanisieren« können. In der gegenwärtigen deutschen Linken fällt das nicht unter grundlegender Dissenz, Aneinander Vorbeireden oder diskursive Herrschaft, sondern wird euphemistisch Pluralismus genannt.

Auch Che und Lysis haben sich mit der Phase 2 Nr. 26 beschäftigt.

04.02.2008