Was nicht zur Debatte steht

Die Einleitung zur neuen Phase 2 stellt die Grundfragen vor, mit der sich der Schwerpunkt beschäftigt.

Dabei ist hier weniger interessant, was problematisiert wird, sondern der Rahmen, der als gegeben angenommen wird, das diskursive Feld, auf dem jegliches Fragen stattfindet, die Prämissen, die wie selbstverständlich vorausgesetzt werden.

Die Basis bildet zunächst einmal das Paradigma der internationalen Politik, deren Akteure Nationalstaaten sind. Die Perspektive ist natürlich »der Westen«. Das Betätigungsfeld radikal linker Politik ist demzufolge die Frage, wie »gesellschaftlichen Entwicklung in [der] globalen Interventionszonen« zu ermöglichen. Wir, das ist der Westen, wollen die anderen entwickeln.

Ist die Diskussion erst einmal auf dem Feld nationalstaatlicher Außenpolitik gebettet, so übernimmt das mächtige Paradigma der Intervention das Ruder. Das Feld der Auseinandersetzung ist durch die Charakterisierung als »Interventionszone« fest abgesteckt. Die zu verhandelnde Frage ist demnach, welche Politik im Rahmen der Intervention möglich ist, welche Außenpolitik der »Westen« zu ergreifen hat.

Intervention ist das, was der Welt »Modernisierung«, »Demokratisierung« und »Humanisierung« bringt. Sie ist Bedingung ihrer Möglichkeit. Nun wird die Intervention alleine deshalb problematisiert, weil sie nicht ausreicht. Sie vermag, so der Tenor, gewisse Herrschaftsstrukturen zu zerstören und andere einzusetzen, aber ihre Gewalt erreicht manche Formen der Herrschaft nicht.

Es wird kritisiert, dass »die Interventionskräfte vermehrt auf das Primat von Stabilität und Begrenzung der Konflikte [setzen]«. Aber man gesteht ihnen zu, »[das Ziel] von Demokratisierung und Modernisierung« nicht aufgegeben zu haben, überhaupt ist ihr Ziel freilich »die Durchsetzung humaner Verhältnisse«. Faktisch bleibe aber nur ein »regionale[s] Konfliktmanagement« übrig.

Dies impliziert eine Kritik an den »Interventionskräften« und eine Forderung an diese westlichen Staaten: Die Interventionen müssen noch totaler werden. Die Phase 2 leistet Lobbyarbeit und hilft beim »nation building«, indem sie die bestehenden Verhältnisse nicht nur in den »Regionen aktueller«, sondern freundlicherweise auch in denen »zukünftiger Interventionen« analysiert.

Ganz selbstverständlich ist die Entwicklung hin zu »Wohlstand, Demokratie und Frieden« nur im Rahmen der andauernden Intervention möglich. Um gegen »die reaktionären Zielvorstellungen der verbleibenden politischen Kräfte« vorzugehen, bedarf es andauernder militärischer Besatzung »mit dem nötigen Durchsetzungsvermögen«. Alle anderen Positionen, die keine derart klare Ansage machen und Bereitschaft zur »Intervention« signalisieren, seien »hilflos«.

Prinzipiell sei »von einem nachhaltigen Interesse des Westens an einer menschenwürdigen Entwicklung auszugehen«. Wie es sich für Linksradikale dieser Prägung gehört, kann man das für Deutschland nicht ohne Einschränkung behaupten. Das heißt aber nur, dass Deutschland die Aufgabe, die ihm zukomme, nicht konsequent verfolge. Man erwartet es aber von Deutschland. Deshalb kritisiert man Deutschland, weil es nicht als eigenständiger Akteur im Rahmen von »Enduring Freedom« auftrete. Deutschland kümmere sich nicht selbst genug um »zivile[n] Wiederaufbau« und »Stärkung der Zivilgesellschaft«, sondern delegiert diese Aufgaben und räumt der Konfliktbegrenzung stets den Primat ein.

Uli Krug steuert seinen Teil dem Schwerpunkt bei, und der ist natürlich, sonst wäre es kein echter Krug, die Endlosplatte von der »antiamerikanischen und antizionistischen« Linken. Die Unterstützung »um ›Befreiung‹ kämpfende[r] ›Völker‹« sei bloß ein Ausdruck »der Suche nach einer nationalen Identifikationsmöglichkeit, die ... das Objekt Deutschland nach wie vor versperrt«. Die eigenen Identifikationsobjekte sind zum Glück schon gefunden.

Es erscheint müßig, dies im Einzelnen inhaltlich zu rezensieren. Nicht die Fragestellungen, sondern die gar nicht mehr hinterfragten normativen Annahmen, auf denen diese Fragen erst aufbauen, wären überhaupt erstmal zur Disposition zu stellen. Eine echte Auseinandersetzung mit alternativen Positionen findet nicht statt, weil sie nicht als möglich angesehen werden. Auf dem Boden der unzähligen Prämissen sind sie auch nicht möglich. Sie werden immer wieder als das unbestimmte »antiimperialistische« Andere identifiziert, nur um sie als Dämon an die Wand zu malen, der, dazu will die Phase 2 ihren Beitrag leisten, wieder an Macht gewonnen hat und nun eingedämmt gehört.

Wenn aggressive nationalstaatliche Politik, Weltordnungskriege, das Modell der »Intervention« und deren »Demokratisierung« vollends affirmiert werden, ist materialistische Analyse und Ideologiekritik sowie eine eigene radikale Position, die jenseits des herrschenden Diskurses denkt, verunmöglicht. Man ist den Legitimationsideologien der paternalistischen »Modernisierung«, »Demokratisierung« und »Humanisierung« ganz verfallen und problematisiert sie gar nicht. Man ist bereit zur Mitarbeit, man will im gegebenen Rahmen ganz konstruktiv »Perspektiven einer gesellschaftlichen Veränderung [aufzeigen]«. Man gefällt sich als Think Tank der globalen Interventionskräfte.

Lediglich der Beitrag von sinistra! möchte die »Interessen der intervenierenden Staaten« reflektiert sehen. Man solle sich nicht so »gerieren, als bestünde ein linksradikaler Einfluss auf die Gestaltung der Weltpolitik«. Auch wenn sinistra! fordert, sich »mit den gesellschaftlichen Verhältnissen hierzulande« auseinanderzusetzen, wird in jener Aussage die »Weltpolitik« als Betätigungsfeld vorausgesetzt. Ansonsten gäbe es keinen Grund, zu konstatieren, dass eine Einflussnahme keine Früchte trägt. Statt »Deutschland, halt's Maul« dann doch nur Wehmut darüber, dass die linke Politikberatung ungehört verhallt. Aber der Wille zur Macht ist da, Einflussnahme muss sein, man muss sich auf dieses Kampffeld begeben, denn nur dort wird schließlich um »Humanisierung« gefochten.

Dieser Schwerpunkt stellt die Frage nach menschlicher Emanzipation nicht. Man ist im Rahmen von »Intervention« und »Modernisierung« von außen gefangen. »Die neue Unübersichtlichkeit« ist ein Sturm im Wasserglas.

26.01.2008