Deutscher kapitalistischer Alltag

Nokia will ein Werk in Bochum schließen.

  • Die regierende Politik spielt die beleidigte Leberwurst und ist sauer auf das Kapital, weil es trotz zahlreichen Geschenken und Gefälligkeiten nicht dem »Standort« »verpflichtet« ist, und droht dem »undankbaren«, bösen Kind mit Zurücknahme des Zuckerbrotes.
  • Die Grünen sehen die nationale Souveränität in Gefahr und deuten die Schließung als Kriegsterror der vaterlandslosen, ausländischen Kosmopoliten gegen das autochtone deutsche Volk: Die Schließungspläne von Nokia für den Standort Bochum sind ein Frontalangriff eines international operierenden Unternehmens auf die Menschen in Bochum und im Ruhrgebiet. – Deutschland, du Opfer! Wann wird endlich wieder zurückgeschossen?
  • Der DGB betont die Leistungsbereitschaft der Arbeiter, die konstruktive Mitarbeit beim Gütel-enger-Schnallen, zeigt sich eingeschworen auf die globale Wettbewerbsfähigkeit und ruft nach einer politischen Intervention. Die Arbeitsplätze würden einer globalen Konzernstrategie geopfert. (Quelle)
  • IG Metall psychopathologisiert die Manager und wirft ihnen Gewinnsucht zu Lasten der Menschen vor.
  • Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende lässt auf seine Heimat nichts kommen, sie ist selbstverständlich der wertvollste Standort überhaupt. Trotz der Tatsache, dass alle Mitarbeiter stolze Nokianer seien, behandle man sie unmenschlich, so die Bochumer IG-Metall-Vorsitzende. (Quelle)
  • Ein »Telekommunikationsexperte« leugnet, dass betriebswirtschaftliche Motive hinter der Entscheidung stehen.
  • »Die Linke« zückt gekonnt das Ressentiment von den raffenden, gierigen Bossen und den geknechteten, schaffenden Arbeitern: Es ist ein Unding, dass ein hoch profitabler Großkonzern wie Nokia seine Gier nach immer höheren Profiten auf dem Rücken der Beschäftigten austrägt. Das Werk in Bochum schreibt schwarze Zahlen - aber offensichtlich reicht das den Bossen von Nokia nicht. (Quelle) Darüber, dass die fetischisierte menschliche Arbeitskraft vom Kapitalisten nicht freundlich gefragt und mit Samthandschuhen angefasst wird, kann man sich nur ohne Einsicht wundern. Sie werde zum Spielball von Profitinteressen eines Großkonzerns – ein unvernünftiges, naives »Spiel« eben, das unverantwortliche und bösartige »Konzerne« mit den Menschen spielen. (Quelle) Eine andere Parlamentarierin der »Linken« bringt es auf den Punkt: Nokia geht nach dem Motto vor: Erst Geld absaugen, dann Arbeitsplätze vernichten. Das ist parasitär. (Quelle) Endlich ist es raus: »Parasiten, Volksschädlinge, J...!«
  • Nachdem die Nachricht zirkulierte, warten die Medien vor den Werkstoren, um die Emotionen abzugreifen. Ein Beschäftigter zitiert die Dolchstoßlegende. Andere betonen, wie arg sie in letzter Zeit geschuftet haben, selbst an Feiertagen habe man Überstunden gemacht. Man sei ja schon 13 Jahre dabei. Man fühlt sich betrogen, es bleibt nur Verwunderung darüber, dass das Kapital trotz totaler Anbiederung kaltherzig bleibt. Das Bild zum Film – Ausweinen bei Rüttgers
  • Die FAZ lobt die betriebswirtschaftlich weise und weitsichtige Entscheidung, früh genug harte Entscheidungen getroffen zu haben und nicht zu warten bis es mit dem Geschäft wieder bergab geht.
  • Das Handelsblatt sieht eine vorgeschobene Begründung und enthüllt stattdessen politische Gründe: Nokia wolle die Fertigung in der Nähe von Zulieferern ansiedeln – grundlos und ohne Zweckrationalität, zumindest schweigt der Kommentar dazu. An anderer Stelle meint ein Experte dazu, dass durch diese Cluster-Bildung die Logistik und Entwicklung deutlich vereinfacht und rentabler werde. (Quelle)

16.01.2008