Kritik der Kritik der Kritik

In mehreren folgenden Einträgen möchte ich mich näher mit dem Vortrag Who killed Bambi. Über das regressive Bedürfnis deutscher Tierfreunde der ag tears no krauts, genauer gesagt Manfred Beier und Andreas Halberstädter, auseinandersetzen.

Der Vortrag ist als MP3 verfügbar (52 MB) und dessen Manuskript in zwei Teilen in der bonjour tristesse erschienen.

Bereits tee hatte darüber berichtet, auch im Blog vegan geeks wurde an zwei Stellen darüber diskutiert.

Abgesehen von konkreten inhaltlichen Fragen, zu denen weitere Einträge folgen werden, ist der Text ein Beispiel, wie eine gewisse Art von Polemik funktioniert, die mir charakteristisch für »antideutsche« Texten scheint. Daher will ich vorab Gedanken dazu formulieren, wie solchen Texten überhaupt begegnet werden kann.

Ein Großteil der Analyse antideutscher Polemik wurde bereits durch den Text Scharfe Zungen und funkelnde Augen im Krieg der Wörter - Neomackertum und Verbalmilitarismus im linken Dialog geleistet. Der folgende Text entstand größtenteils, bevor ich jenen gelesen hatte. Ich hoffe, dass sie sich ergänzen. Ich bin, das kann ich wohl vorwegnehmen, auf ähnlichen Weg zu ähnlichen Schlüssen gekommen.

Mit dem Label »antideutsch« ist hier keine geschlossenes Identitätskonstrukt gemeint, sondern eine Machart von Texten sowie ein Ensemble von Sprechweisen, die ich im folgenden - ohne konkreten Bezug auf den genannten Text - allgemein beschreiben möchte. Ob die Autoren solchgearteter Texte unter dem Label aktiv sind, ist insofern nicht relevant. Genausowenig ist mir an einer Subsummierung unter den Begriff gelegen. Es reicht hier, von einer Tendenz anstelle einer Kategorie zu reden. Scharfe Kriterien, was »deutsch« und was »antideutsch« ist, mögen andere ausarbeiten.

Das antideutsche Unternehmen stellt sich als »Kritik« insbesondere an der Linken dar. Diese Kritik versucht oftmals, neben vielem anderen, linken Praktiken nachzuweisen, sie seien affirmativ hinsichtlich herrschender Verhältnisse oder schlicht rechtsoffen, reaktionär, antisemitisch, faschistoid. (Oftmals gelingt es ihr auch.) Ein zentraler Topos scheint mir die Ablehnung des Rückfall hinter den Kapitalismus, hinter die historisch gesehen emanzipatorischen Aspekte der bürgerliche Gesellschaft, hinter die von ihr nicht eingelösten Versprechungen, hinter die »Aufklärung« usw.

Kritik im Kantschen Sinne in seiner materialistischen Wendung bei Marx und der Kritischen Theorie ist ein hohes Ziel. »Rücksichtslose Kritik alles bestehenden« als Selbstverständnis ist damit an seinem eigenen Anspruch zu prüfen. Einzufordern ist m.E. analytische Schärfe, wissenschaftliche Ernsthaftigkeit sowie sachbezogene, differenzierte Argumentation. Nur so kann die emanzipatorische Absicht eingelöst werden und Kritik die ihre unterstellte Sprengkraft entfalten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wenig dieser Kritik herauskommt, sondern inhaltlich schwache Schmähreden, die zwar einen hohen Distinktionswert haben, jedoch selten ihre eigenen Standpunkte einer rücksichtslosen Kritik unterziehen und deren Bedingtheit reflektieren.

Statt zu forschen, herauszuarbeiten und Beweise zu führen dominiert bei zahlreichen Texten deren rhetorische Machart: Sie sind mehr plauderhaft, essayistisch, vor allem: sie polemisieren. Ihre Sprache macht an vielen Stellen deutlich, dass es nicht um Analyse und argumentative Überzeugung geht. Nichtsdestoweniger werden wichtige Themen im Vorbeigehen abgehandelt, das heißt mitunter abgewatscht und abgetan. Nicht immer steht hinter dem rhetorischen Spiel, das den Text oberflächlich treffend und bissig sowie in seiner Absicht erfolgreich scheinen lässt, auch eine rundherum schlagkräftige Kritik.

Inhaltlich verweisen derartige Texte, insbesondere die lieb- und einfallslosen, immer wieder auf eine Hand voll Fixpunkte, mithilfe derer das Einzelne bloß noch verortet werden muss. Ein Text scheint sich in den Kanon vorangegangener einzuschreiben, die einem Regelwerk zu folgen scheinen. Kennt man manche Grundpositionen und oft geäußerten Standardvorwürfe, Kernbegriffe sowie vorgefertigte Phrasen, Zitate und Referenzpunkte der marxistischen Theoriegeschichte, so ließen sich aus diesen Versatzstücken, könnte man glauben, beliebig viele gleichartige Texte fast automatisch erzeugen. (Ein bösartiger, sicher nicht verallgemeinerbarer Vorwurf, der bloß meinen Eindruck derjenigen Texte wiedergibt, die zum hundertsten Mal bloß dasselbe erzählen und Aussagen fast wörtlich aus Texten zu anderen Themen übernehmen.)

Angesichts dieser Beobachtungen stellt sich mir die Frage, wie einem derartig verfassten Text wiederum kritisch beizukommen ist. Prüft man aufgeregtes Wortgeklingel auf seinen sachlichen Gehalt, arbeitet Vorraussetzungen, Thesen, Argumente und Herleitungen heraus, testet man auf Stringenz und Plausibilität usw., so lassen sich eingedampfte Aussagen nachvollziehen, belegen oder widerlegen. Es bleibt, so scheint mir, aber die wirkmächtigste Dimension unberührt: Eine Selbststilisierung und Überhebung, die - was eigentlich unmöglich ist - auf das falsche Ganze hinabblickt, eine möglicherweise schwach untermauerte, aber umso heftigere Verhöhnung der Kritisierten sowie gänzlich irrationale Reflexe. Diese Dimension dominiert mancherlei Texte, ist aber keine »Kritik« und höchstens nach einer Übersetzung ideologiekritisch einholbar.

Damit soll die Beobachtung von Gemeinsamkeiten einer Textkultur, einem charakteristischen Schreibgestus, ausdrückt werden, ohne solchen Texten gleich vorab argumentative oder methodische Schwäche zu unterstellen. Diese Erscheinungen korrellieren aber oftmals.

Natürlich kommen solche Texte durchaus an, die Rhetorik entfaltet ihre Wirkung. Es ist für viele attraktiv, Politik als »Battle« zu verstehen, wo in inszenierter Weise »gedisst« wird und der politische Text zu Aufbau und Ausbau von Eigen- und Fremdidentität verwendet wird. Der wichtige negative und destruktive Anspruch schonungsloser Kritik löst sich im nichts auf, wenn sich »innerlinke Kritik« darum dreht, wer wen am besten verbal heruntermachen kann. Wieder hat man es den hässlichen Linksradikalen gezeigt, dieser reaktionären Bande - außer dem heimeligen Gefühl, es auch vorher schon gewusst zu haben, bringt das nicht notwendigerweise Erkenntnisse mit sich. Es kann ebenso zur leeren Form werden. Da gefällt man sich in der Rolle desjenigen, dessen Kritik - sicher regelmäßig äußerst stumpf - als »arrogant« abgetan wird, feiert sich selbst in der Außenseiterposition und nimmt die Reaktion als Steilvorlage, um weiter Identitätspolitik zu betreiben, anstatt - was sicherlich auch passiert, aber selten getrennt wird - knallhart seine Kritik zu entfalten.

Der mackerhafte »Battle« im Hip Hop ist höchstens im Style, also sprachlich, rhetorisch, ästhetisch usw. virtuos, inhaltlich dreht er um sich selbst, während er sich formal ins Äußere treiben muss. Als Form der politischen Auseinandersetzung sind Texte, die von den beschriebenen Merkmalen dominiert werden, äußerst problematisch. Die monologische Form fernab von diskursiven Mindeststandards dient vielleicht der Selbstvergewisserung und somit Identitätsbildung, aber nicht der Erreichung der Kritisierten, des Schaffens von Problembewusstsein bei Interessierten oder des Anstoßens einer Debatte. (Gut, das ist oft auch gar nicht gewollt, weil die Kritik nicht »konstruktiv« sein will.)

Das ist aus meiner Sicht insofern bedauerlich, dass radikale Kritik und rücksichtslose Auseinandersetzung bitter nötig wäre. Die »Waffe der Kritik« sollte nicht durch zahnlose Polemik verwässert werden, die durch permanante Selbstreferenz das eigene Bestehen verfestigt, wo sie doch allem Bestehenden den Kampf angesagt hatte.

13.07.2007